Heinrich Heine
Wer war Heinrich Heine? Diese Frage beschäftigt seit Jahrhunderten die Literaturexperten und Feuilletonisten. Kein zweiter deutschsprachiger Dichter wird so sehr durch die Legendenbildung glorifiziert, wie der Dichter, dessen Geburtsstadt Düsseldorf gewesen sein soll. Erstmals wird in Stupidedia der Versuch einer Beweisführung unternommen, dass Heinrich Heine nie existierte und nur ein geistreich erdachtes Phantom war. Dieses Lemma stellt demnach nicht nur eine literaturgeschichtliche Sensation dar, sondern dürfte den Ritterschlag durch eine Neuschreibung der Geschichte erhalten. Heinrich ist unter anderem für sein Zauberstück Michael Kohlhaas bekannt.
Heinrich Heine, ein Wintermärchen
Wir wissen nicht, was soll es bedeuten...
In der Nachwirkung der Französischen Revolution ging so manches verloren. Der Glauben an alte Werte beispielsweise, Köpfe, die Feudalherrschaft oder die europäische Ordnung. Daneben verlor man den Überblick über kalendarische Daten. Zählte man nach vorrevolutionärem Kalender, nach dem julianischen oder hatte Robespierre auch hier eigene Vorstellungen? Niemand behielt in der aufgebrachten Stimmung den Überblick. Kein Wunder also, dass das Geburtsdatum Heinrich Heines, das in diese Zeit gelegt wird, nicht eindeutig feststeht. Er soll, so die führenden Forscher, in der Zeit von 1797 bis 1801 geboren worden sein. Später dichtete man ihm an, er sei „der erste Mann des Jahrhunderts“ und legte seine Geburt auf die Silvesternacht 1800 fest.
Doch wer war dieser Mann, der laut Geburtsurkunde Harry geheißen haben soll, sich später sowohl Hinnark als auch Henry nannte, auf dessen Grabstein aber Henri steht und der uns als Heinrich bekannt ist, wirklich? Wie kann man wissen, dass sein Geburtsname Harry war, während seine Geburtsdaten jedoch verschwunden blieben. Ein Mysterium, dass schon zu Zeiten der Geburt unglaubhaft erscheinen musste.
Wenn man sich in die Heineschen Familiengeschichte vertieft, stößt man unweigerlich auf die nächsten Widersprüche. Er soll Jude gewesen sein, beschnitten, reich. Und doch findet sich ein Eintrag, das ihn als Protestant kennzeichnet, während er selbst zum Ende seines Leben über sich selbst gesagt haben soll „baptisé, non converti“. Andererseits machte er sich über Religionen lustig, da er Glauben immer als „le crédit“ bezeichnete. Bis heute sind nicht weniger als 17 (!) letzte Worte des Unnahbaren bekannt. Er schrieb politische Parolen, was ihn nicht daran hinderte, diese wenig später zu verleugnen. Zeitgleich verfasste er Gedichte wie
Es waren zwei Königskinder,
Die hatten einander so lieb,
Sie konnten zusammen nicht kommen,
Das Wasser war viel zu tief.
die später millionenfach Briefpapier verzierten. Ein tiefer Romantiker also, der aber auch vor Spott und Satire keinen Halt machte. Erst neuzeitliche Komiker rückten durch Umschreibung der letzten Zeile in „Denn er kam immer zu früh“ die Verbindung beider Seelen zusammen. Heines bissiger Spott wird deutlich durch den Umstand, da er den Baron Rothschild beleidigte, dem er nach dessen Darstellung von der Reinheit und Unverdorbenheit des Quellwassers der stark verschmutzten Seine antwortete „Ihr Herr Vater soll auch so ein rechtschaffener Mann gewesen sein, Herr Baron!“, und das, obwohl er selbst nie unvermögend war. Er machte sich über den Adel lustig, änderte aber trotzdem den Namen seiner Mutter Betty van Geldern in das adelige „von“. Holt man jetzt noch hervor, dass er revolutionäre Schreiben verfasste, die ihn eigentlich des Landesverrats bezichtigen müssten und bemerkt, dass Heine niemals polizeiaktenkundig wurde, kommt auch der heftigste Liebhaber seiner Schriften nicht mehr umhin, ihn wenigstens als schizophren zu bezeichnen.
Die Familie
Geht man zurück ins letzte Drittel des 19. Jahrhunderts und stellt man Nachforschungen über eine Familie Heine in Düsseldorf an, so wird man fündig. Es gab eine gut betuchte, gleichnamige Sippschaft, die sich durch Handel mit Tüchern ein Vermögen verdiente. Aus ihnen ging Samson, der imaginäre Vater Heinrichs hervor. Er ehelichte ein holländische Landpomeranze, Betty, die ihm drei Kinder gebar. Deren Namen, Horst, Hiltrud und Hoppla, lassen einen engen Bezug zur jüdischen Geschichte zu. Allein hier wird deutlich, dass Harry, der ja laut Legende der Erstgeborene sein sollte, nicht in die biblische Namensreihe hineinzupassen scheint. Und doch wies man Heinrich Heine einer real existierenden Familie zu. Die Gründe hierfür sollen später noch genauer definiert werden.*
* Die Angaben im Kasten stehen für die Heine-Legende, wie sie für die Nachwelt festgehalten wurde. Die weiteren Texte erläutern die wahre Geschichte!
Tuchhändler kennen normalerweise nur drei Arten von Büchern: das Hauptbuch, das Wareneingangsbuch und die Kundenkartei. Wie soll in einem solchen Milieu das Interesse an Büchern von literarischem Wert gefesselt werden? Selbst innerhalb der weiteren Familie gab es niemanden, der auch nur annähernd eine künstlerische Begabung aufwies. Heines späterer Ziehonkel, Salomon, war Tuchhändler, ebenso die Vorfahren der Eltern, die Geschwister und Cousins. Eine Tuchhändlerdynastie und Heinrich das schwarzes Schaf? Das immerhin liegt im Bereich des Möglichen. War nicht auch Michael Jackson der Sohn eines Afroamerikaners, der sich durch Hautabschürfungen zum Bleichgesicht und dadurch erst recht zum „schwarzen" Schaf der Familie machte? Doch kann nichts darüber hinwegtäuschen, dass es Ungereimtheiten (wenn dieses Wort in Zusammenhang mit Heinrich Heine erlaubt ist) in dieser Familie gab.
Harry
Harry Heine soll sich als Jugendlicher sehr an seinem Vornamen gestört haben. „Ich lasse mich nicht vor diesen Karren spannen!“ ist als Zitat überliefert. Als Auflehnung gegen seine Eltern, als Protest über deren unglückliche Namenswahl und als klares Zeichen der Abgrenzung zu den tuchhändlerischen Vorstellungen seiner Erziehungsberechtigten, wählte er im Alter von neun Jahren den Namen Harry ab und nannte sich Hinnark. Durch diesen deutlich friesischen Bauerntölpelnamen distanzierte er sich vom Beruf seiner Familie und erwarb sich ein Stück Eigenständigkeit. Doch viel zu schnell musste er schmerzlich erkennen, dass mit dem von ihm ausgesuchten Namen kein Eindruck bei den Mädchen seiner Klasse zu schinden war. Nach ca. eineinhalb Jahren ausgestandenen Spotts wechselte er wieder seinen Prenomen in Harry zurück, mit dem er eigentlich besser fuhr.
Durch diesen Umstand wird offenbar, dass die Schaffer des Heine-Mythos sich nicht einig waren über die rechte Namenswahl. Augenscheinlich gab es bei der Gruppe H. Heine (GHH), wie man diese illustre Truppe nennen könnte, unterschiedliche Tendenzen. Durch die Namenswahl legte man, getreu dem Glaubenssatz Nomen est Omen, eine Stilrichtung und die Kunstfigur Heine in eine Kategorie festgelegter Schreibrhythmen fest. Erst nachdem die GHH sich auf den unverbindlichen Namen Heinrich einigte, war der Weg für eine literarische Karriere geebnet und konnte alle Spielarten schriftstellerischen Wirkens zulassen.
Harry besuchte, nachdem er in einem jüdischen Kindergarten die eingeengte, dogmatische Lehre über sich ergehen ließ, das Lyzeum, ein Düsseldorfer Gymnasium, das bis heute wohlweislich nicht seinen Namen trägt. Er war in dieser Zeit ein außergewöhnlicher Schürzenjäger, was ihn öfter den Zorn, meist in Verbindung mit Prügel, aufgebrachter Mitschüler einhandelte. Seine schulischen Leistungen gerieten gegenüber seinen damals aktuellen an Mädchen orientierten Interessen in den Hintergrund und er musste das Gymnasium ohne Abschluss vorzeitig verlassen. Das war nicht weiter tragisch, da in seiner Familie niemand Abitur hatte und seine Eltern es befürworteten, dass er jetzt eine Handelsschule besuchte. Diese brachte er ohne Brillanz erfolgreich zuende, dann begann seine Ausbildung zum Bankfachangestellten.
Henry
Er zog nach Hamburg, lernte ein paar Gebräuche des hanseatischen Bankenwesens bei seinem Onkel, dem inzwischen zum Bankbesitzer aufgestiegenen Salomon Heine, kennen. Durch Hamburgs geistige Nähe zu London gab er sich hier den anglophilen Namen Henry. Mit dem geliehenen Geld Salomons, der einen Narren an seinem Neffen gefressen haben soll, machte er sich als Tuchhändler selbständig und war nach einem Jahr bankrott. Seine Neigung zum Schreiben war stärker als das Gespür für ein gutes Geschäft. Noch während seiner Tätigkeit als Unternehmer verfasste Henry den Zweizeiler
Bevor ich weiter mit Tüchern handel’,
ich doch lieber in Büchern wandel’.
und entschied sich für ein Studium.
Erstmals wird in der Legendenbildung durch die GHH hier ein Weg aufgezeigt, wie es bei seiner Herkunft und familiären Umständen möglich sein konnte, dass er nicht den Weg eines unternehmerischen Tuns vollzog, sondern seine Liebe für Bücher und Geschriebenes entdeckt. Die GHH erlaubt sich hierbei, wie später noch öfter, einen groben Denkfehler. Die Heines galten als sehr vermögend, gerade Onkel Salomon war mehrfacher Millionär, und Henry war der Erstgeborene und damit Stammhalter und anvisierter Erbe des Familienimperiums. Hätten Traditionsgedanke oder der Einfluss seiner Verwandtschaft den Schritt ins literarische Lotterleben nicht verhindern müssen? Waren Vater oder die tuchhandelnden Zunftbrüder nicht stark genug, Henry, den jugendlichen Aufbrauser, so zu beeinflussen, dass er den Gedanken des Schreibens normalerweise aufgegeben hätte?
Heinrich
Kurz nach der Berliner Episode griff die GHH erstmals praktisch ins Geschehen ein. Heine soll hier als Debüt mehrere Schriften verfasst und veröffentlicht haben. Allein die Tatsache, dass er innerhalb kurzer Zeit (ein Semester) und neben dem Studium, einen vollständigen Gedichtsband und zwei Tragödien, von denen eine sogar im Erscheinungsjahr zur Uraufführung kam, bearbeitet haben soll, lässt Zweifel aufkommen. Dies konnte unmöglich die Tat eines einzelnen gewesen sein. Die Gedichte bewiesen Stärke, waren jedoch kein Verkaufsschlager während die aufgeführte Tragödie Almansor floppte und heftigster Publikumsbeschimpfung ausgesetzt war. Das zweite Stück kam gar nicht erst zur Aufführung. Die GHH nutze hierbei das Pseudonym Heine, um gewagte Stücke oder neue Stilmittel auszuprobieren, die keinesfalls unter den realen Namen veröffentlicht werden durften. Heine wurde als Labor der schreibenden Zunft missbraucht.
Um den Namen griffiger zu machen und um keinen Zusammenhang mit den entgleisten Erstveröffentlichungen herstellen zu können, überlegte die GHH, den Namen Heines erneut zu ändern und ihm eine andere Legende zu geben. Sie ließen ihn zum Christentum konvertieren (1825) und legten für ihn den Namen Heinrich fest. Aus Sicherheitsgründen beließen sie seinen Glauben außerdem beim Judentum, man wusste ja nie, welche Zielgruppe man später anpeilte. So wohnten „zwei Seelen, ach, in seiner Brust“, was die Kunstfigur Heine später in sehr vertrackte Situationen bringen sollte.
Die von Platen-Kontroverse
Karl August Georg Maximilian Graf von Platen-Hallermünde, bekennender homosexueller Literat, war einer der ersten, der der GHH eindeutig zugeordnet werden konnte. Er bemühte sich, Heine als ebenbürtig darzustellen, als Seelenverwandter, als fiktiver Geliebter. Von Platens 1828 entstandenes Theaterstück Der romantische Ödipus bedient sich der Zeile
Mein Heine! Sind wir beide nicht ein Paar Genies?
Wer wagt zu stören, Süßer, uns den süßen Traum?
und beschwert sich im gleichen Akt über eine Eigenart Heines, die auf dessen jüdischer Religionshörigkeit fußte:
Sein Freund, ich bin's; doch möcht' ich nicht sein Liebchen sein;
Denn seine Küsse sondern ab Knoblauchsgeruch.
Die GHH war empört. Heine homosexuell? Das passte nicht in ihr Konzept. Viel zu sehr waren sie bemüht, ihm die Legende des Frauenheldes anzuheften, als dass sie durch von Platens sexueller Phantasie zerstört werden dürfte. Sie schlossen den Grafen aus ihrer Gruppe aus und sorgten dafür, dass er in Deutschland keine Anstellung mehr finden sollte. Auch wenn die anderen konspirativen Mitglieder der GHH noch unbekannt sind, so wird durch dieses Beispiel deutlich: sie hatten Macht und Einfluss. Graf von Platen exilierte nach Italien, wo er in den Bädern von Lucca genügend Lustknaben fand, die ihm sein Exil versüßten. Die GHH sandte ihm über Heine noch spöttisch
Mein Geist, bewegt von innerlichem Streite,
Empfand so sehr in diesem kurzen Leben,
Wie leicht es ist, die Heimat aufzugeben,
Allein wie schwer, zu finden eine zweite.
hinterher und machten ihn durch Erpressung mundtot. Sie kannten zu viele seiner intimen Geheimnisse.
Paris
Das Exil des homophilen Schöngeistes von Platen sah die GHH als Damoklesschwert über sich hängend an. Nur kleinste Indiskretionen hätten genügt, um die Gruppe auffliegen und Heine enttarnen zu lassen. Um vor Nachforschungen sicher zu sein und ihn einer Überprüfung zu entziehen, verlegten sie seinen neuen Wohnort nach Paris, wo er als Journalist, Korrespondent und Klatschtante wirken sollte. Auftraggeber bei dieser Aktion: Johann Friedrich von Cotta. Ausgerechnet von Cotta? Die Verlegerlegende? Die GHH erlaubt sich durch diese Personalbesetzung ihren nächsten Schnitzer, die schließlich zur Aufklärung und Decodierung dieser illustren Gruppe führen sollte.
In Paris angekommen, umgibt Heine der Mythos des Don Juans. Er wird wie eine Götzenfigur in den hauptsächlich von Damen frequentierten Pariser Salons und Literaturzirkeln herumgereicht und die Frauenwelt soll ihm zu Füßen gelegen haben. Es ist der Antipode zur von Platenschen Unterstellung, die die GHH jetzt sehr kräftig und durch viele Anekdoten überwürzte.
Heine litt an ungewöhnlich starkem Heimweh, das ihn veranlasste, die berühmt gewordenen Zeilen
Denk’ ich an Grünkohl in der Nacht,
Bin ich um meinen Schlaf gebracht!“
zu verfassen. Doch es gab keine Chance, dem Ausland zu entgehen. Erst wenn der Streit mit von Platen beendet oder dieser tot sei, durfte er wieder in seine Heimat zurückkommen. Entsprechend richtete er sich in seinem Exil ein. Er erhielt einen gefälschten französischen Pass, musste Begeisterung für Napoleon Bonaparte vorweisen und die Annektierung seiner Heimatstadt Düsseldorf durch den Kleinwüchsigen begrüßen. Schließlich brachte dieser die Wiedereinführung des Code noir, und damit die Auflebung des Sklavenhandels, der infolge der Französischen Revolution in den Hintergrund geraten war, mit sich und der den Antisemitismus, der in diesen wirren Tagen die Sklaverei ersetzte, ablöste. Das sollte Heine dem Feldherrn nie vergessen und in einer ewigen Treue und unreflektierten Dankbarkeit ausarten.
Die Börne-Kontroverse
Erneut zielt ein Streit auf einen Schriftsteller der GHH. Diesmal trifft es Ludwig Börne, der radikal politische Anforderungen an sein eigenes Werk stellte und dies auch von anderen Schriftstellern verlangt. Seine Forderung, parteipolitisch Stellung zu beziehen, war der Gruppe H. Heine jedoch zuwider und sie ließen Börne durch Heine, ähnlich wie im Fall von Platens, bloßstellen. Hintergrund hierbei ist die Kenntnis von einer pikanten Affäre Börnes mit einer liierten Lebedame. Sie sandten Heine als dritten Liebhaber ins Feld, dem die Dame vertraute und ihm von ihrem Verhältnis zwischen ihrem Ehemann und Ludwig Börne beichtete. Dies wurde, als der ebenfalls in Paris lebende Schriftakrobat seine Postulate an Heine dramatisierte, der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, was Börne zum Schweigen brachte.
Heine verfasste das kompromittierende Gedicht
Das war mein Liebchen wunnesam,
Ein fremder Mann war Bräutigam;
Dicht hinter dem Ehrenstuhl der Braut,
Stand Börne, der sich die Nägel kaut.
das die Braut und alle Beteiligten in eine peinliche Situation brachte.
Der Ehemann, ein reicher Kaufmann, fühlte sich durch Heines Indiskretion gedemütigt und verlangte Genugtuung bei einem fröhlichen Duell. Heine soll getroffen worden sein, vermutlich als Einleitung seines Rückzuges als Schürzenjäger, und der Kaufmann ging unverletzt, da Heines Waffe immer noch der Stift und nicht die Pistole war, aus dem Zweikampf hervor.
Dieser Börne war nicht nur ein Querulant, mit seinem rudolfscharpingeskem Gezeter von einzuhaltener Parteilinie, seinem unablässigem Republikaner-Gesülze und seiner Forderung, die GHH müsse politisch Farbe bekennen und sich in den Dienst der guten Sache stellen, ging er allen auf die Nerven. Schon seit langem überlegte man, wie man diesen „börnierten Lasallen-Knecht“ (Heine) absägen und aus der Gruppe ausschließen könne. Da kam ihnen seine Affäre gerade Recht! Doch allein diese Ménage a quatre, die ja literaturhistorisch keine Sensation darstellte, reichte kaum, ihn, wie im Falle von Platens, ihn aufgrund des öffentlichen Drucks schmachvoll und mit eingezogenem Kopf ins Ausland oder in einen See gehen zu lassen.[1]
Es muss innerhalb der GHH zu Spannungen gekommen sein, denn eilig hatte man es nicht, mit diesem Börne. Einerseits war er brillanter Schreiber und konnte Heine sehr pointiert und scharf mit Worten aufs Papier dichten, ferner hatte er Befürworter innerhalb der Gruppe, andererseits aber blieb, dass er ein blasierter Korinthenkacker war, der der GHH seinen Willen aufdrücken wollte. Niemand muss müssen schallte es ihm entgegen und man baute darauf, dass er sensibel genug war, diese Affäre nicht zu überleben. Zwei Jahre nach der Veröffentlichung hielt Börne die Ausgeschlossenheit aus der Gruppe nicht mehr aus und schied unfreiwillig aus dem Leben. Er hat mit seinem Disput einen der bekanntesten Literaturkriege angezettelt und sich dadurch unsterblich gemacht.
Mathilde
Es war der Gruppe um Heine klar, dass Dank Heines libidogesteuerter Aura auch sein Ruf litt. Durch Börnes Affront wendete sich das Blatt vom charmanten Draufgänger zum notorischen Rockzipfelhänger. Um Abhilfe zu schaffen, wurde Heine verheiratet. Er ehelichte eine Unbekannte, die als Schuhverkäuferin ihr Geld verdiente und ihm mitnichten intellektuell Paroli bieten konnte. Die Identität dieser Frau, deren wahrer Name sich in den Heinrich Heineschen Stammbüchern befand, die zufällig verschwunden sind, konnte nie geklärt werden. Überliefert ist nur, durch Augenzeugen und Briefe, dass Heine sie Mathilde nannte und, dass das nicht ihr richtiger Name war. Sie soll von einem wohlfeinen Antlitz und vollendeter Figur geprägt gewesen sein und darüber hinaus Fähigkeiten besessen haben, über die sich die Literatur einfühlsam ausschweigt. Trotzdem blieb diese Ehe kinderlos.
Mathildes Beziehung zu Hein ist zwiespältig zu sehen. Einerseits erfreute es die zum Zeitpunkt der Heirat noch 18jährigen, die weder schreiben noch lesen konnte, einen älteren Mann zu ehelichen, der augenscheinlich Geld besaß, andererseits begriff sie überhaupt nicht, womit ihr Gatte sein Geld verdient. „Den ganzen Tag hängt der zu Hause rum, schreibt irgendwelches Zeug und labert wirres Zeug. Wann arbeitet der eigentlich?“ Diese Indifferenz an Heines Arbeit stimmte ihn mal heiter, mal wütend. Dann gab es schon mal Schläge oder beißenden Spott. Mathilde ertrug dies alles, einerseits weil sie es aus dem Elternhaus nicht anders kannte, andererseits, weil sie nach jedem Streit ihre Fähigkeiten demonstrieren durfte. Das gab ihr – neben dem Geld Heines – konjugale Befriedigung. Mathilde sollte bis zum Tode Heines an seiner Seite bleiben und danach in seine geschäftlichen Fußstapfen treten.
Bei der Trauung Heines waren keine Zeugen zugegen. Die GHH achtete penibel darauf, dass das Phantom Heine durch diesen Schritt nicht verraten wurde. Die Hochzeit erachteten sie wegen der jüngsten Vorfälle als notwendig, denn eine Fortführung des Lotterlebens hätte Heines Ruf geschadet. Fraglich nur, warum die GHH nicht eine fiktive Frau erwählten? Mit Mathilde, deren richtiger Name Augustine Crescence Mirat war, meinten sie, die richtige Wahl getroffen zu haben. Dumm, attraktiv und ohne kulturbeflissene Affektivität schien sie der Gruppe die Geeignete zu sein. Sie wurde fürstlich entlohnt und nur über die nötigsten Fakten informiert. Praktisch brauchte sie nur Ausreden parat haben, warum ihr Gatte augenblicklich unabkömmlich oder außerhäuslich sein. Diese Aufgabe sollte das „Bauernmädel“ (GHH Interna) wohl erledigen können.
Leider machte die Gruppe H. Heine eine bittere Erfahrung. Mathilde, wie sie auch von der Gruppe bezeichnet wurde, war schlauer, bauernschlauer, als es sich ihre Geldgeber vorgestellt hatten. Geldgierig erahnte sie, dass sie Geheimnisträgerin geworden war, deren Auflösung um jeden Preis verhindert werden musste. Dies nutzte sie taktisch klug gegen die Gruppe aus und ließ sich diese Apanagen für ihr Schweigen in bar auszahlen. Die GHH war erpressbar geworden. Sie bereuten die Anstellung dieser realen und widerborstigen, halsstarrigen Frau, doch für eine Umkehr war es zu spät. Sie mussten den Spuk beenden.
Heines Ende
Es blieb der GHH nichts weiter übrig, um sich der Erpressung Mathildes zu entziehen, als entweder Heine oder Mathilde sterben zu lassen. Gut, bei Frau Heine wäre ein Tod heikel, zumal sie drohte, dass, wenn ihr etwas passieren würde, sie aufklärende Unterlagen an einem sicheren Ort verwahren und es kein Zögern geben würde, diese zu veröffentlichen. Also beschloss die GHH, Heine langsam darauf vorzubereiten, dass ihm wohl bald das Ende naht.
Zunächst fiel ihnen wegen seines vorehelichen Lebensstils Syphilis als adäquate Todesart ein. Dies würde seinem Ruf gerecht werden und es wäre ein männliches Ende. Doch sie hatten nicht mit der Widerstandskraft Mathildes gerechnet. Sie sah ihre Felle davon schwimmen und kämpfte wie eine Löwin, um den Tod Heines hinauszuzögern. So zog sich das Sterben des großen Literaten über acht lange Jahre hin. Alle Mitglieder der Gruppe verfassten ein Schlusswort, eine letzte Phrase, ein letztes Gedicht. Dann war es endlich soweit. Am 17. Februar 1856 einigten sich die GHH und Mathilde auf Heines Tod und der große Schriftsteller war von seinem Leiden erlöst.
Das galt aber nicht für die GHH, die Mathilde und deren Familienangehörigen für weitere 100 Jahre die Jahressonderzuwendungen zukommen lassen musste. Frau Heine hat hier sehr scharf gepokert und hatte durch ihre Kenntnisse eindeutig die besseren Karten.
Die Gruppe H. Heine (GHH)
Erste Staffel, erfolglos vertagt
- Annette von Droste-Hülshoff
- Heinrich von Kleist
- Jean Paul
- Friedrich Hölderlin
- Johann Gottlieb Fichte
- Heinrich Pestalozzi
Zweite, aber von Erfolg gekrönte Staffel
- Johann Friedrich von Cotta - Präsident, Gründer
- George Gordon Byron – Lord
- Louis de Rouvroy, duc de Saint-Simon - Vordenker h. c.
- Henri de Saint-Simon – Utopist
- Georg Wilhelm Friedrich Hegel – Graue Eminenz
- Karl August Georg Maximilian von Platen – Graf
- August Wilhelm Schlegel – Übersetzer
- Johann Wolfgang von Goethe – Geheimrat
- Friedrich Schiller – Aufrührer
- Ludwig Börne – Sprachrohr
- Karl Marx – Philosoph
- Walter Benjamin – Großenkel
- Kurt Tucholsky - Letzter
Gründung
Das zentrale Europa befand sich Anfang des 19. Jahrhunderts im Umbruch. Ausgehend von der Französischen Revolution gab es sowohl politische als auch kulturelle Veränderungen. Dies bekam auch der Verleger J. F. von Cotta zu spüren. Immer häufiger wurden ihm unaufgeforderte Manuskripte von neuen Talenten, Denkern, Sektierern oder Fanatikern eingesandt. Aus der Flut dieser Eingaben war leider nicht immer Kapital zu schlagen. Obwohl die Schriften durchaus Qualität besaßen, trafen sie nicht unbedingt den Publikumsgeschmack. Von Cotta, der als studierter Mathematiker rechnen konnte, wusste, dass, wenn ein Werk erst veröffentlicht und es von Kritikern verrissen wurde, es mit der Karriere des Autors und mit den erhofften Gewinnen vorbei sein wird.
Er beriet sich mit einigen seiner Erfolgsautoren, zu denen Klassiker-Größen wie Annette von Droste-Hülshoff, Gottlieb Johann Fichte, Johann Heinrich Pestalozzi oder auch Heinrich von Kleist gehörten, wie man diese Werke veröffentlichen könne, ohne dass Autor oder Verlag Schaden daran nimmt.
Am 18. März 1801 lud von Cotta einige Getreue zu einem Essen in seine Tübinger Villa und formulierte sein Problem.
Von Cotta: „Liebe Anette, meine Herren! Ich habe Sie kommen lassen, um mir bei einem Problem zu helfen. Sie wissen, seit die Franzosen diese unsägliche Revolution angezettelt haben und die Jakobiner nicht nur in der Politik mitmischen, sondern ihre Guillotine auch in Gesellschaft und Kultur walten ließen, kam es zu einer Überflutung von verwaisten, will heißen verlagslosen Autoren, die mir ihre Werke einsandten und die keine Möglichkeit der Veröffentlichung sahen. Auch mir ist unmöglich, diese theils kompromittierenden Schriften zu drucken, ohne dass mir die Schergen Napoleons im Nacken sitzen. Es soll Ihr Schaden nicht seyn, wenn wir einen Ausweg aus dieser Situation finden.“
Pestalozzi: „Was soll das? Warum sollen wir uns unseren Kopf zerbrechen über derlei ungelegte Eier? Können die sich nicht selbst helfen?“
Von Cotta: „Anscheinend nicht!“
Fichte: „Ich muss Johann Heinrich Recht geben. Alle Kraft des Menschen wird erworben durch Kampf mit sich selbst und Überwindung seiner selbst.“
Annette: „Wer nach seiner Überzeugung handelt, und sei sie noch so mangelhaft, kann nie ganz zugrunde gehen, wogegen nichts seelentötender wirkt, als gegen das innere Rechtsgefühl das äußere Recht in Anspruch nehmen.“
Fichte: „Jedes Schreckbild verschwindet, wenn man es fest ins Auge faßt. Warum drucken Sie die Werke nicht?“
Von Cotta: „Sie wissen, gerade die deutschen Censoren Napoleons, dieser Haufen hündischer Volltrottel, denkfauler Ikonoklasten und Dummköpfe, würden nichts durchgehen lassen, was auch nur den Ansatz eines kritischen Gedankens enthält.“
Hölderlin: „Was kümmert mich der Schiffbruch der Welt, ich weiß von nichts, als meiner seligen Insel. Außerdem habe ich Hunger!“
Jean Paul: „Manche Dichter geraten unter dem Malen schlechter Charaktere oft so ins Nachahmen derselben hinein, wie Kinder, wenn sie träumen zu pissen, wirklich ihr Wasser lassen!“
Hölderlin: „Pöh!“
Von Cotta: „Meine Herren. So kommen wir nicht weiter, es geht ums Ganze, um Konstruktivismus.“
Pestalozzi: „Wer sich im Geist und in der Wahrheit als Bruder von Hunderten fühlt, der ist ein höherer Mensch als der Bruder von einem. Warum schlagen wir diesem Kleinwüchsigen nicht ein Schnippchen und erfinden ein Pseudonym, unter dem alle Werke veröffentlicht werden. Dann können die Zensoren lange suchen...und werden nichts finden, was sie in den Kerker werfen können?“
Von Cotta: „Hmmm, das klingt gut, das ließe sich bewerkstelligen. Weiß jemand einen trefflichen Namen?“
Annette: „Wär' ich ein Mann doch mindestens nur, so würde der Himmel mir raten: Hermann Hesse!“
Von Kleist: „Was soll das,“ lachend, „wird das die Auflebung der Hermannsschlacht?“
Jean Paul: „Je zarter und inniger die Verbindung ist, desto mehr glauben wir Männer, auch über das Kleinste rechten zu müssen, um zuletzt das Vollendete zu erringen; aber gerade die Kriege um Nichts nehmen die Siege über Alles. Darum meine ich: Quintus Nixlein wäre ein geeigneter Name."
Hölderlin: „Hyperion!“
Von Kleist: „Du deutschester aller Griechen. So weit kommt es noch! Dann können wir ihn auch gleich Michael Kohlhaas nennen.“
Pestalozzi: „Vielleicht sollte es sein ein Mann, an dem das Beste, was an ihm ist, dass er meinen Namen führt. So was wie Heinrich Heinrichsen.“
Fichte, ironisch: „Genau. Oder Gottlieb Gottliebsen. Oder Jean Paul Jonpollsen. Herrschaften, fällt euch wirklich nichts Besseres ein?“
Von Cotta: „Schweigt Stille! Pestalozzi hatte eine gute Idee. Heinrich Heinersen klingt gut. Heinrich Heine wäre sogar noch besser. Wohlan. So ist’s beschlossen. Das Pseudonym heißt Heinrich Heine!“
Annette: „Oder Harry. Harry Heine klingt doch irgendwie netter.“
Von Cotta, genervt: „Gut, warum nicht. Harry ist auch nicht schlecht. Also, Herrschaften, wer ist dabei?“
Von Kleist: „Ö, bei mir sieht’s zur Zeit etwas schlecht aus. Ich treffe mich nächstens mit Käthchen aus Heilbronn. Da ist mir bestimmt nicht der Sinn nach...äh, nach...., sagen wir, nach einer Vereinsgründung.“
Hölderlin: „Nee, ich geh’ mal rüber. Ich habe vor, in eine geistige Umnachtung zu fallen. Das soll ja eine große spirituelle Erfahrung sein.“
Jean Paul: „Also Hölderlin, du kommst wohl nie aus den Flegeljahren heraus. Merk Dir mal: Nie vergesse der Dichter über der Zukunft, die ihm eigentlich heller vorschimmert, die Forderungen der Gegenwart und also des nur an diese angeschmiedeten Lesers.“ An von Cotta gewandt, „Aber auch mir ist es unmöglich, diesen illustren Plan umzusetzen. Zu wenig Zeit, zu wenig Zeit!“
Von Cotta: „Und? Wie steht’s mit dem Rest? Wer macht mit? Annette? Pestalozzi? Johann Gottlieb?“
Betretenes Schweigen. So wurde die Gründung der Gruppe H. Heine zwar im Vormärz beschlossen, verlief sich aber zunächst im Sande. Johann Friedrich von Cotta gab seine Vision jedoch nicht auf und konnte bald neue und vor allen Dingen aktivere Mitglieder gewinnen.
Heine entsteht
Von Cotta bemerkte ziemlich schnell, dass mit diesen Halbromantikern nichts anzufangen ist. Er brauchte andere Menschen, Männer der Tat. Mit ihnen könnte man das Projekt zügig durchführen. Der Zufall wollte es, dass ein Schotte, Baron George Gordon Byron, sich auf einer Lesereise durch Südeuropa fand. Dessen Protagonisten verkörperten den jugendlichen Draufgänger, den Byronic Hero, den überflüssigen Menschen. Das ist es, was Cotta fehlte: Leidenschaft pur. Der Verleger suchte den Literaten auf und konnte ihn für das Projekt Heine gewinnen. Die Zielsetzung war jetzt neu. Es ging nicht mehr darum, langweilige, verstaubte Manuskripte umzuarbeiten und unter einem Pseudonym zu veröffentlichen, sondern Byron, selbstverliebt, wie er war, wollte selbst schreiben und hierbei keine Grenzen, kein Tabu mehr kennen. Ein gewagtes Unternehmen, doch Cotta willigte ein.
Byron begann sofort mit dem Schreiben. Er konnte seinen Brieffreund Johann Wolfgang von Goethe ebenfalls von der Idee begeistern. Auch der Geheimrat hatte Manuskripte, die er bislang geheimgehalten hielt, in der Schublade liegen, die nach einer Veröffentlichung schrieen. Es dauerte nicht lange, bis auch Friedrich Schiller vom neuen Wirkungskreis eines eifersüchtig von ihm beäugten Goethes Kunde erhielt. So schloss auch er sich der Bewegung an. Unter von Cottas Leitung formte sich dieses erste Triumvirat im Geiste des Louis de Rouvroy, duc de Saint-Simon, dessen unveröffentlichten Mémoires von Cotta damals zugespielt wurden und die sich gar kritisch über Dauphin als Sinnbild des verweichlichten Absolutismus darstellten und von hochpolitischer Brisanz waren. Saint-Simon sollte, obwohl er schon über fünfzig Jahre unter der Erde lag, als Ehrenmitglied, so wollte es wenigstens Byron, aufgenommen werden.
Von Cotta begann mit der Legendenbildung. Den Namen Heine, wie er in der ersten Staffel beschlossen wurde, wollte er beibehalten. Er fand eine Tuchhändlerfamilie in Düsseldorf, die diesen Namen trug und bemühte sich, sein Phantom in diese, nur etwas von Tüchern verstehende Familie, einzuflechten. Das Projekt Heine lief an!
Erste Werke
Die ersten Werke entstanden. Heines Wirkungskreis wurde auf Berlin gelegt, da in dieser Metropole eine Überprüfung schwieriger war als im beschaulichen Düsseldorf. Von Cotta verlegte einen Gedichtsband (Goethe) nebst zwei Dramen, Almansor (Byron) und William Ratcliff (Schiller). Da man für Almansor einen Übersetzer brauchte, entschied sich Cotta, August Wilhelm Schlegel, der sich als bedeutendster Shakespeare-Übersetzer aller Zeiten hervorgetan hat, in den Heine-Kreis zu involvieren. Auch er war von der Idee angetan, hatte er doch mehrere Traktate verfasst, die er veröffentlichen wollte, ohne das sein Ruf als begnadeter Translateur Schaden nahm. Er war es, der Georg Wilhelm Friedrich Hegel in die Gruppe brachte. Beide lebten in Berlin und durch die Namensähnlichkeit kam es häufiger zu Verwechslungen der zugestellten Post, da die Briefträger seiner Zeit die beiden nicht auseinanderhalten konnten. So lernten sich der Philosoph und der Schriftsteller kennen und empfanden alsbald Freundschaft für einander. Das Projekt Heine nahm nun auch noch hegelianische Züge an.
Heinrich Heine schlug ein wie eine Bombe. Sein Gedichtsband troff vor romantischem Schmelz und rührte Tausende junge Frauen zu Tränen, während sein dramatisches Werk vernichtend kritisiert wurde. Byron bestand darauf, bevor es zu einer ersten Rezension kam, sein Stück auf die Bühne zu bringen. Doch er war seiner Zeit voraus und die Darstellung einer Orgie im Sado-Maso-Umfeld, bei dem zwanzig lederbewehrte Schauspielerinnen vier Männern (die Gruppe H. Heine???) Freude und Schmerzen zugleich bereiteten, war für den inzwischen biedermeierisch geprägtem Zeitgeschmack zu abgehoben. Es kam zu Tumulten und einer Massenschlägerei des Publikums noch während der Uraufführung. Das Stück wurde abgesetzt und Ratcliff wurde nie aufgeführt, obwohl es nichts mit Almansor zu tun hatte. Schiller war natürlich nicht sehr erfreut über diese Entwicklung und entschied sich, diesmal allerdings unter seinem eigenen Namen, Die Räuber zu schreiben und mit der Gruppe abzurechnen. Trotzdem blieb er der GHH treu und nutzte sie vielfach, um neue Ideen am Publikum auszuprobieren.
Für von Cotta, der sich mittlerweile selbst als Autor in die Gruppe einbrachte, war der Anfang vielversprechend. Heine wurde aus dem Stand berühmt und die Auflagenstärke seiner Werke erhielt Bestnoten. Niemand kam dahinter, dass Heinrich Heine eine von ihm erfundene Figur war, obwohl man, wenn man es verstand, zwischen den Zeilen zu lesen, durchaus Parallelen zu den Autoren entdecken konnte. Lernen wir nicht in Heines
Ich bin ein deutscher Dichter,
Bekannt im deutschen Land;
Nennt man die besten Namen,
So wird auch der meine genannt.
die gleiche Überheblichkeit Byrons kennen: „Ich erwachte eines Morgens und fand mich berühmt.“? Und liefert nicht von Goethe selbst einen Hinweis auf das Phantom, als er
Wisst ihr, was mich Poeten
Erst Recht erfreuen sollte?
Dürft’ ich singen und reden,
Was niemand hören wollte.
zu Papier brachte? Auch Schiller, immer noch beleidigt, weil sein Ratcliff nicht aufgeführt wurde, jammerte bereits zum Anfang des Jahrhunderts "Mir ekelt vor diesem tintenklecksenden Säkulum", was ihn aber nicht davon abhielt, seine weibische Ader, zu der er nach schwerer Krankheit stand, auszuleben und in romantische Heine-Verse zu verpacken.
Familiäre Konflikte
Dadurch, dass der Duc, wie das verstorbene Ehrenmitglied Saint-Simon genannt wurde, Teil dieser Dichtergruppe war, entschloss sich ein enger Verwandter, Henri de Saint-Simon, der GHH beizutreten. Er war eher Schriftsteller als Dichter, verfasste soziologische Studien und war Wegbereiter des Utopischen Sozialismus. So richtig ausschließen mochte man den komischen Kauz nicht, schließlich floss das Blut des Ducs in ihm, trotzdem fand er nie richtig Zugang zum Rest der etablierten Schreiber. Außer zu Schlegel wurde ihm kein nennenswerter Kontakt zuteil. Von Cotta fürchtete um die innere Einheit der Gruppe, wenn jetzt schon Familienangehörige Zugang fanden. Aber es sollte noch viel schlimmer kommen.
Zunächst verstarb Schiller recht unerwartet und für jeden an Literatur Interessierten wenigstens 100 Jahre zu früh. Immerhin haben seine Werke die Französische Revolution beeinflusst und er sich so in Europa unsterblich gemacht. Doch für die GHH war sein Wirken zu kurz, als dass es von Bedeutung war. Seinen Platz nahm Graf von Platen ein, der ein vielversprechendes Debüt ablieferte und von dem sich von Cotta Großes erhoffte. Von Platen, jung, dynamisch und von der Heine-Idee stürmisch beflügelt, sagte sofort zu. „Ah, eine reine Männerrunde! Das ist gar trefflich nach meinem Geschmack!“ Er suchte bei den konspirativen Treffen zusehends die Nähe zum gut aussehenden Byron, dem diese Annäherung zunächst spanisch vorkam.
Von Cotta indes arbeitete inzwischen fieberhaft am Curriculum Vitae Heines. Er ließ ihn zu Doktor der Juristerei aufsteigen. Ein kluger Schachzug, so würde niemand bei leisen Zweifeln an Heines Identität ernsthaft nachforschen, weil man immer mit einer Klage zu rechnen hätte. Doch Cotta übersah, dass es der realen Familie Heine nicht entging, dass sie einen berühmten Verwandten (Sohn?) in den eigenen Reihen hatten. Samson Heine, imaginärer Vater der literarischen Figur, verdächtigte anfangs Betty, seine Frau, ihm den Sohn verschwiegen zu haben. „Ist der Bastard von Salomon?“ fragte er unablässig. Er war eifersüchtig auf den Erfolg seines Bruders und traute ihm eine solche Tat durchaus zu. Doch Betty schwieg. Sie hatte keine Erklärung für ihren Ungeborenen. War sie so etwas wie Maria, nur anders? Still fragend versank sie in Gebete.
Auch Salomon, der Hamburger Bankier, hörte vom Familienzuwachs. Da es ihm an Zeit mangelte, setzte er einen nahen Verwandten, Karl Marx, der sich neben seinem Philosophie-Studium etwas hinzuverdienen wollte, darauf an, das Rätsel zu lösen. Da die Cottaschen Dichter sich nicht sehr viel Mühe gaben, die Spuren zu vertuschen – sie waren sich sicher, dass es zu keiner Nachprüfung kommen wird – wurde Marx schnell fündig und stellte sich der Gruppe vor. Auch er war voller Feuer und brannte darauf, hier mitmischen zu können. Von Cotta sah sich vor der Wahl, entweder sein Projekt zu beenden oder Marx, der bislang noch nichts zu Papier brachte, aufzunehmen. Notfalls könne er ja als Servierkellner die Literaten bedienen, für Cotta sah Marx so aus, als ob er für Geld alles machen würde. Doch der Student hatte andere Pläne. Salomon Heine verriet er die Gruppe und deren Geheimnis nicht, sodass dieser lapidar antwortete "Nu ja, hätt' er gelernt was Rechtes, müsst er nicht schreiben Bücher!" Als Gegenleistung wollte Marx Heinesche Werke dazusteuern. Die Mitglieder GHH sahen sich schmunzelnd an und ließen ihn gewähren. Lesen könne man es ja mal.
Erster Eklat
Die locker verabredeten Treffen im Hause Cotta wurden zusehends Gegenstand heftigster Debatten. Zu kontrovers waren neuerdings die Meinungen der einzelnen Mitglieder. Nur der Graf von Platen bewahrte Ruhe, ja, ein regelrechtes Desinteresse an diesen Diskussionen. Er hing am Rockzipfel Byrons, tätschelte bei jeder Gelegenheit dessen Oberschenkel und himmelte den immer noch gut Aussehenden an. Byron entging diese Anzüglichkeiten nicht, und als der Graf anfing, Gedichte für ihn zu schreiben, in denen er seine Zuneigung nicht mehr verbarg, platzte Byron der Kragen. „Fass mich nicht immer an, Tunte!“ herrschte er den perplexen von Platen an. Die übrigen Heine-Mitglieder unterbrachen ihre Gespräche. Noch hatten sie nichts von der Hinwendung des Grafen mitbekommen. „Wenn du auf Kerls stehst, dann ist das deine Sache. Aber, vergiss es, mich in deine schmutzige Phantasie einzubinden.“ Von Platen erwiderte noch irgendetwas von klassischer Lehre, höhere Ziele und Gleiches mehr, doch die Gruppe sah sich außerstande, ihn weiter in ihren Reihen zu halten. Cotta entschloss sich, dem Grafen die Mitgliedschaft zu verweigern. „Dann sag ich allen, wie es um euren Heine bestellt ist.“ bellte von Platen noch. Doch Goethes politischer Einfluss war so groß, dass Platen schmachvoll das Land verlassen musste. Kurz darauf verstarb Byron und der Graf weinte ihm in Italien, seinem neuen Exil, viele Tränen nach.
Flucht nach vorn!
Die GHH war vor den Kopf gestoßen. Platen hat es gewagt, im Namen Heines homoerotische Wünsche zu publizieren. Cotta reagierte sofort und brach alle Zelte in Deutschland ab. Bevor es hier zu einem Skandalon kommt, sollte Heine jenseits der Grenze sein und dort einen neuen Lebensabschnitt wählen. Er sandte ihn als Korrespondent seiner Zeitung[2] nach Paris, um von dort Interessantes aus der Welt der Lichterstadt zu berichten. Die Zeitungsartikel schrieben neutrale Journalisten, die unter dem Pseudonym Heine gedruckt wurden. Eine entsprechende Vergütung sollte sie ruhig stellen. Doch einer der sprachlich brillantesten von ihnen, Ludwig Börne, kamen Zweifel am lauteren Umstand der Fremdnennung und er investigierte scharf nach diesem H. Heine, unter dessen Namen seine Artikel in Deutschland zu lesen waren. So stieß auch er, ähnlich wie Marx, auf die GHH und wurde schnell zum Mitglied ernannt.
Zweiter Eklat
Zusammen mit Marx und Saint-Simon sorgte Börne nun für eine zunehmende Politisierung Heines. Auch wenn die drei sich später durch unterschiedliche Herangehensweisen an die Lösung der großen sozialen Probleme nicht mehr grün waren, anfänglich stilisierten sie Heine zum revolutionären Weltverbesserer und Kritiker bestehender Zustände. Doch innerhalb der GHH regte sich erster Widerstand gegen diese politisch Wildgewordenen (Hegel). Zusammen mit Schlegel, Hegel und Goethe überlegte von Cotta, wie man diese Wirrköpfe beruhigen konnte. Karl Marx beispielsweise war leicht zu beeinflussen. Hegel schaffte es, ihn in seine idealistische Gedankenwelt zu ziehen und seine Kritik an der Ökonomie nur noch philosophisch zu betrachten. Saint-Simon erledigte sich von selbst, da er starb. Lediglich Börne war unbeugsam und krakeelte unablässig politische Parolen. Ihn galt es, mundtot zu machen.
Geheimrat von Goethe nahm sich dieser Sache an. Offen kritisierte Goethe Börne als "Grünschnabel", "Sprechblase" oder "Falstaff und seine Bande". Ein Krieg der Literaten entstand. Während Börne seine Äußerungen wie „Seit ich fühle, habe ich Goethe gehasst, seit ich denke, weiß ich warum." unter eigenem Namen verfasste, tat Goethe dies unter Heines Signatur. Doch Börne war zu schlau, als dass er nicht wusste, von wem diese Zeilen stammten. „Hätte Deutschland nur zwei Dichter, nur Kotzebue und Goethe – tausendmal lieber labte ich meinen Durst an Kotzebues warmer Tränensuppe als mit Goethes gefrorenen Wein.“ entgegnete er. Das war dem Geheimrat zuviel. Er erfand eine kompromittierende Situation, in die Heine und Börne verwickelt sein sollten und die Börne in eine unbeliebte Situation, die des langweiligen und überflüssigen Liebhabers, brachte. Dann schloss die GHH Börne aus der Gruppe aus. Sein Verleger, Auftrag- und Geldgeber Cotta drehte den Finanzhahn zu und Börne starb kurz darauf gramvoll und vom Hass verzehrt.
Zufälle?
Religion | Judentum | Judentum |
Getauft | protestantisch | protestantisch |
Abitur | nein | nein |
Diplom | promoviert | promoviert |
Loge | Freimaurer | Freimaurer |
Exil | Paris | Paris |
Beruf | Schriftsteller und Journalist | Schriftsteller und Journalist |
Waffe | scharfe Worte | scharfe Worte |
Auftraggeber | von Cotta | von Cotta |
Grab | Paris | Paris |
Religion | Judentum | Judentum |
Getauft | protestantisch | protestantisch |
Diplom | Dr. jur. | Dr. jur. |
Loge | Freimaurer | Freimaurer |
Exil | Frankreich | Frankreich |
Beruf | Schriftsteller und Journalist | Schriftsteller und Journalist |
Waffe | Witz | Witz |
Beigesetzt in | nicht in Deutschland | nicht in Deutschland |
Mathilde
Paris war weit entfernt vom heimeligen Tübingen. Daher überlegte Cotta, dass es besser sei, wenn eine reale Person vor Ort vorhanden ist, die die Geschicke des Literaten steuert. Da darüber hinaus der Ruf Heines durch den Disput Goethe/Börne in Ungnade zu fallen drohte, empfand der Verleger es als erachtenswert, Heine zu verheiraten. Er suchte sich eine junge Dame aus, deren Verstand möglichst nicht ausreicht, um lästige Fragen zu stellen. In der Schuhverkäuferin Augustine Mirat fand er eine, wie es schien, geeignete Person. Gut gebaut, blond und nicht besonders helle, war sie die ideale Besetzung. Auch Goethe und Hegel stimmten zu. So wurde mit Augustine ein mündlicher Kontrakt geschlossen, dass sie ihren Gatten in Paris zu entschuldigen habe, falls mal wieder ein besonders hartnäckiger Journalist versuchen sollte, ihn zu Hause anzutreffen. Einfache Sache, das. Doch das Ganze endete in einem Fiasko. Zunächst war Goethe, mittlerweile hochbetagt, beeindruckt von Augustine. Er berauschte sich an der Idee, ebenfalls eine junge Dame zu ehelichen, die nicht für intellektuelle Gespräche, ansonsten aber sehr gut zu haben sei. Seine Trennung von Charlotte von Stein zugunsten der Christiane Vulpius löste einen Skandal aus. Die körperlichen Anstrengungen, das unbändige Verlangen und der durch die Vulpius entstandene Jungbrunnen-Effekt, veranlasste Goethe dazu, sein Lebenswerk, Faust I und II und den unter Heines Namen veröffentlichten Dr. Faust, sowie sein eigenes Leben zu beenden. Das letzte Werk (Dr. Faust) wurde erst nach seinem Tode entdeckt und Heine später hinzugedichtet.
Dann erwies sich Heines Scheinfrau als besonders zäh, wenn es ums Verhandeln ging. Sie erkannte schneller als geplant die wahren Hintergründe ihrer Aufgabe und erpresste von Cotta nun. Das war von der GHH überhaupt nicht einplant gewesen und ein eilig herbei gerufener Krisenstab beschloss, dass der Tod Heines die Sache beenden würde. Man einigte sich darauf, Heine an einer bös ansteckenden Syphiliserkrankung, die er sich aufgrund seiner wechselnden Damenbekanntschaften zugezogen hat, sterben zu lassen. Dann fesselten sie das Phantom ans Krankenbett und verstreuten die Krankmeldung. So sollte ihn keiner mehr freiwillig besuchen wollen.
Doch Augustine, die von der Gruppe aus unerfindlichen Gründen Mathilde genannt wurde, wollte auf die reichen Gaben ihrer Gönner nicht verzichten. Der Tod Heines zog sich dadurch unnötig in die Länge. Mit Mathilde starb die Figur Heine, jedoch nicht die Idee. Sie handelte aus, wenigstens für 100 Jahre Geld für ihre Familie zu sammeln und so ihr Stillschweigen zu bewahren. Cotta willigte ein und verstarb ebenfalls. Noch auf dem Sterbebett verfügte der Verleger, dass das Geheimnis um Heine bewahrt werden müsse. Die restlichen Mitglieder sollten sich darum kümmern. Geldmittel für Mathilde standen zur Verfügung, sodass diese Sorge vom Tisch war. Ein schweres Erbe für Karl Marx, dem einzigen Überlebenden des elitären Zirkels.
Späte Erben
Marx wanderte aus nach London und ließ den Heine-Mythos auf sich beruhen. Er hatte höhere Ziele und in seiner Dialektik ergab sich als Synthese, dass die Reformierbarkeit des Kapitals höherwertig sei als die sinnlose, weil ausschließlich kulturell wertvolle, Aufrechterhaltung der Legende eines längst verstorbenen Dichters. Er ärgerte sich zudem über die Lebedame Mathilde, die ihn nicht bezirzen konnte.
Sie aber schon um achte
trank roten Wein und lachte.
dichtete er verbissen über sie. Später fragte er Friedrich Engels, mit dem er in London eine Art WG gegründet hat, ob dieser bereit sei, in der GHH mitzuwirken, doch dieser, der zunächst davon angetan war, weil er glaubte, eine Gruppe, die aus drei Buchstaben bestehe, müsse etwas Gutes sein, winkte enttäuscht ab, nachdem er erkannte, dass es um Kultur ging. So dümpelte die GHH kraftlos vor sich hin.
Die Wende kam aus Deutschland. Mathilde war inzwischen auch zu ihrem Herrn gerufen worden und die Apanagen an die Familie Mirat liefen unvermindert per Dauerauftrag weiter. Doch Heines reale Familie, die Heines aus Düsseldorf, wollten das Projekt nicht aufgeben. Sie bedrängten ihren Verwandten in London, den Heinekult doch wieder aufleben zu lassen. Sie sonnten sich an dem Glanz, der von dem Dichter auf die inzwischen verarmte Familie strahlte. Marx schrieb zurück, dass er zur Zeit weder Mitglieder finden konnte, noch Zeit für diese Aufgabe habe. Grund genug für die Familie Heine, einen weiteren Verwandten ins Rennen zu schicken. Walter Benjamin, ein 15jähriger Schüler, der es aufs Gymnasium geschafft hat und dort ausgesprochen umfangreiche Aufsätze zu Papier gebracht hat, galt als Hoffnungsträger der Sippschaft. Er können in die Fußstapfen seines Großonkel treten, von dem immer noch niemand wusste, wo er eigentlich herkam. Aber das war in Anbetracht seiner Berühmtheit letztlich auch egal. Marx stimmte zu und übertrug Walter die Aufgabe der GHH-Führung. Jetzt war er endlich frei und konnte sich darum kümmern, dass das Kapital zu zittern beginne.
Benjamin studierte und leitete die GHH vollständig allein. Er war kulturbeflissen und erhielt den Ruf eines kunstsachverständigen Schriftstellers. Nachdem er zu Ansehen kam, überlegte er, welche Autoren mit ihm gemeinsam den Nachlass Heines weiter aufarbeiten oder dessen Legende weiter ausbauen können. Doch alle Geeigneten winkten ab. Einzig Kurt Tucholsky konnte sich für die Idee begeistern und so waren er und Walter Benjamin die letzten Zeugen des Heine-Phantoms. Nachdem Benjamin starb, kämpfte Tucholsky allein an dieser Front. Als dann die Nationalsozialisten an die Macht kamen, flüchtete er, da sowohl seine als auch Heines Werke öffentlich verbrannt wurden. Hiermit endet die Geschichte Heinrich Heines, die nie an die Öffentlichkeit gelangt wäre, wenn der Deutschen Bundespost zum 100jährigen Todestag Heines nicht ein denkwürdiger Irrtum unterlaufen wäre.
Enttarnung
Die Heine-Legende wäre durchgegangen, wenn nicht ein besonderer Umstand dies verhindert hätte. Alle Zeitzeugen waren inzwischen gestorben, es gab niemanden, der das Geheimnis lüften konnte. Zwar tauchten immer wieder Gerüchte auf, dass Heine nicht Heine gewesen sein soll, aber alle diese Mutmaßungen wurden als Bereich der Spekulation abgetan.
Interessant wurde es, als sich der 100jährige Todestag Heines 1956 näherte und die Post überlegte, eine Briefmarke zu diesem Ehrentag zu kreieren. Erstaunlicherweise wählte sie als Konterfei den Kopf Friedrich Schillers. Wusste die Post mehr als sie zugab? War der Graveur beauftragt, Schiller auf die Platte zu ätzen oder unterlag er einfach durch grobes Unwissen einem Irrtum? Und selbst wenn der Graveur sich vertan haben sollte, musste die Post den Briefmarkenkorrekturabzug nicht freigeben? Oder war der zuständige Sachbearbeiter selbst so kulturlos, dass er diesen Unterschied nicht bemerkte?
Durch diese Briefmarke, die heute bei Sammlern Höchstpreise erzielt, wurde ein Stein ins Rollen gebracht. Die Feuilletonisten überschlugen sich mit Mitteilungen über die Heine-Legende. Immer mehr wurde aufgedeckt, bis endlich 1971 die ganze Wahrheit ans Licht kam. Man kam ziemlich schnell auf von Cotta als Zentralfigur in diesem Possenspiel, dann auf die Autoren seines Verlages. Der Rest erklärte sich dann bruchstückhaft durch Briefe und Aufzeichnungen, die man bei den Beteiligten fand. Die Kulturwelt hatte einen handfesten Skandal. Alle Heineforscher zogen mit hochroten Köpfen Dementi aus den Schubladen, doch die in den Kulturbeiträgen der wichtigsten Zeitschriften (vor allem Fritz J. Raddatz von der Zeit) geschriebenen Berichte, die zahllosen Bücher und Fernsehberichte zu diesem Thema, untermauerten die Echtheit der Heine-Demontage.
Einzig die QUICK, ein damals sehr populäres Wochenmagazin, konnte Briefe drucken, die von einer Existenz Heines berichteten. Nachdem der Autor, ein gewisser Konrad Kujau, dann als eigenhändiger Verfasser dieser Schriften entlarvt wurde, konnte die QUICK nur noch Konkurs anmelden und im ewigen Blätterwald versinken.
Die große Frage, die jedoch im Raum stehen blieb, war, wie konnte die Post, die den Stein des Anstoßes lieferte, von all dem wissen? Nach den jüngsten Vorfällen erscheint die Lösung einfach: das Briefgeheimnis hatte für die Post keine elementare Bedeutung und durch den Schriftverkehr der Dichter war sie stets informiert!
Das Werk Heines
"Wahrlich, es gibt Dinge zwischen Himmel und Erde, die nicht bloß unsere Philosophen, sondern sogar die gewöhnlichsten Dummköpfe nicht begreifen."
Auswahl wichtiger Schriften
Gedichte, 1823, (Goethe)
Almansor, 1823, (Byron)
William Ratkliff, 1823, (Schiller)
Das Buch Le Grand Néant, 1827, (Cotta)
Buch der Lieder, 1827, (Saint-Simon)
Harzreise, 1826, (Byron)
Italienische Reisebilder, 1826 – 31, (Goethe)
Französische Zustände, 1832 (Platen)
Über den Denunzianten, 1833 (Börne)
Der dunkle Salon I – IV, 1834 – 40, (Platen)
Die romantische Kant-Schule, 1836, (Hegel)
Shakespeares Mädchen, Frauen und Mätressen, 1839, (Schlegel)
Deutsche Demokratische Republik. Ein Wintermärchen, 1844, (Börne, Hegel, Saint-Simon)
Muhamed Atta Troll, 1847, (Börne)
Der Dr. Faust, 1857, (Goethe) geschrieben 1830
Kapitale Tragödien, 1857, (Marx)
Memoiren, 1884, (Benjamin)
Heinrich Heines Familienleben, 1892, (Tucholsky)
Die Heine-Marke, 1971, (Deutsche Bundespost)
Exempel Goethescher Herangehensweise als Heine am Dr. Faust
Nach dem Erfolg des Faust I verlegte Goethe seinen zweiten Teil in abstrakte Gedankengebilde, doch dieser Part kam nicht an die Popularität seines Vorgängers heran. Neuzeitliche Theaterregisseure versuchen das Stück aufzuwerten, indem sie den latent pornografischen Hintergrund in den Vordergrund stellen und so ihren Schauspielern (und dem Publikum) einen Einblick in das Gewerbe der Wichsvorlagenproduktion geben. Grund genug für den gealterten Poeten, einen dritten Teil zu schreiben. Für den Fall, dass auch dieser nicht der ganz große Wurf wird, schrieb Goethe ihn vorsichtshalber unter den Namen Heine. Hier durfte er seinen Faust erstmals in prosaischer Form und frei von sprachlichen Zwängen darstellen. Mephisto wurde zur Mephistophela und so erklärt sich die Verführungskraft, die von dieser Figur ausgeht, wesentlich einleuchtender als in den ersten beiden Teilen.
Ich rief den Teufel und er kam,
Und ich sah ihn mit Verwundrung an.
Er ist nicht häßlich und ist nicht lahm,
Er ist ein lieber, scharmanter Mann,
Ein Mann in seinen besten Jahren,
'Verbindlich und höflich und welterfahren.
Er ist ein gescheuter Diplomat,
Und spricht recht schön über Kirch und Staat.
schrieb Goethe noch vor Beginn seiner Faust-Trilogie unter Heines Namen. Dies Gedicht ist gleichsam Einstieg und Ausgangspunkt des Faustthemas. Doch schon im ersten Teil, der ja unter dem richtigen Autoren-Namen veröffentlicht wurde, kamen Goethe Zweifel an der Fortführung des Heine-Projekts. Zweifel und Faustdramatik stehen ja unbedingt im Zusammenhang, sodass man den Faust als autobiografisches Abbild Goethes sehen kann. Und Mephisto? Ist er die Versuchung Heine? Goethe Zaudern reduziert sich auf seine in die Gretchen-Tragödie verpackten Worte
Heinrich! Mir graut’s vor dir!
Es scheint, als ob Goethe ernsthaft erwog, aus der GHH auszusteigen. Dies wäre ein herber Schlag für die Heine-Bewegung gewesen. Doch der Dichterfürst überlegte es sich anders. Was im Faust II nur angedeutet, unterschwellig umschrieben war, durfte er unter Heine, und damit ohne Gesichtsverlust, deutlicher demonstrieren: die libidinöse Zwangshandlung des Mannes durch die Versuchung der aufreizenden Frau, gegen die kein Zaubertrank, keine moralische Grenze oder kein Schwur etwas ausrichten kann. Da das Heine-Stück zudem getanzt wurde, musste Goethe hierbei nicht mehr nur Wert auf Worte legen, die sich im Kopf des Lesers/Betrachters zu einem orgiastischen Ensemble zusammensetzen, sondern er konnte durch den Tanz die Szenen ad modum eines Reeperbahnschen Amüsierschuppens auf die Bühne bringen und somit auch dem einfacher gestrickten Volk seine Botschaft vermitteln. Was sind schon
Gesunde junge Frauenglieder,
Vom feuchten Spiegel doppelt wieder
Ergetztem Auge zugebracht!
gegen eine sich auf der Bühne kopulierend darstellende Tanzszene? Goethe war sichtlich beeindruckt von Mathilde, Heines Vollweib, zu der er sich magisch hingezogen fühlte. Im dritten Teil seines Faust verarbeitete er die Phantastereien, die ihm in Erinnerung an Mathilde durch den Kopf gingen. Ihm entging hierbei, dass er seine Zuneigung zur Mathilde zu einem Zeitpunkt verarbeitete, als diese Heine durch ihren Streit mit der GHH ans Krankenbett fesselte. So wurde Der Dr. Faust bis zur Enttarnung der GHH als ein Heinesches Poem gesehen, das dieser im Fieberwahn geschrieben hat. Damit war Goethe nur bedingt einverstanden und er fügte die Figur des Lord Byron als Euphorion nachträglich hinzu, die der Nachwelt durch
Nur durch die Heine!
Zu Stock und Steine!
Das leicht Errungene
Das widert mir,
Nur das Erzwungene
Ergetzt mich schier.
klar macht, dass das Stück mitnichten fiebrigen Wahns entsprang, sondern harte dichterische Arbeit war. Der Geheimrat schloss nach Beendigung des Faust III für immer die Augen und konnte die Uraufführung, bei der nur Männer üblen Leumunds im Publikum vorhanden waren, nicht mehr erleben.
Letzte Worte
Dieu me pardonnera, c'est son métier.
Gott wird mir verzeihen, denn das ist sein Beruf gilt aus der Vielzahl der berühmten letzten Worte als das am häufigsten zitierteste. Wer der wahre Autor dieser Zeile war, konnte bis heute jedoch nie aufgeklärt werden. Heine hat sich demnach bis heute einen Teil seines Mythos beibehalten und es gibt nicht wenige, die auch in der Neuzeit an eine reale Person Heinrich Heines glauben.
Fußnoten
- Der Bayernkönig Ludwig II. litt so sehr unter dem Spott der Dichtergesellschaft Heine, dass er es erwog, sein Leben zu beenden, indem er ein Bad im See nahm und dabei vergaß, zu schwimmen. Nach diesem Ereignis köpfte die GHH erst mal eine Flasche Champagner.
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