Mein Leben ist so scheiße :(
Früher las die Jugend Goethe oder Schiller – und wenn sie böse war – auch mal Brecht. Früher war alles besser, und heute liest die Jugend Sätze wie „Mein Leben ist so scheiße :( “ (ausnahmsweise mal in korrekter Rechtschreibung). Dies ist eine hochinteressante Komposition aus einem Possessivpronomen, einem Substantiv, einem Auxiliar, einem Adverb des Grades, einem Adjektiv und einem Smiley, welche man in diversen sozialen Netzwerken jeden zweiten Tag um die Ohren gepfeffert bekommt. Hierbei (und der Autor distanziert sich von jeglicher Stereotypisierung) gilt es zu konstatieren, dass man diesen Satz eigentlich nur von weiblichen Mitmenschen hört.
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Das Graus
Wenn man früher Kummer hatte, weil der Hamster nicht mehr richtig urinierte oder die Sonne früher unterging, dann ging man zu seiner besten Freundin oder Freund und heulte sich aus. Man konnte sich anhören, was für ein armer Tropf man ist, aber dass es der Freundin/dem Freund aber mindestens genauso beschissen ging. Am Ende hatte man sich durch einige Kekspackungen gefuttert, über das halbe Dorf gelästert und ging mit einem Gefühl profundester Zufriedenheit nach Hause.
Wenn man heute Kummer hat, dann macht man etwas anderes. Man setzt sich an seinen Computer, oder aber zückt sein Smartphone aus der Hosentasche, vergießt ein paar bittere Tränen darauf und wartet, bis der Browser doch endlich dieses soziale Netzwerk mit der weißen Schrift auf blauem Grund geladen hat. Die durchschnittliche Ladezeit beträgt dabei meist 10-15 Schluchzer, wobei das weniger vom Smartphone denn vom Traurigkeitsgrad der Benutzerin abhängt. Als erstes erfährt man dann, dass die Freundin An Na in einer Beziehung mit Fe Lix ist, und dass Johny Blubb etwas in „Angelverein Bubohausen“ gepostet hat, und vergisst fast seine Traurigkeit.
Die Message
Aber nur fast. Bevor man sich darin vertiefen kann, was die Glücknuss der einen Grundschulfreundin für die Zukunft prophezeit, erinnert man sich dunkel daran, dass es einem doch beschissen ging. Also geht man auf sein eigenes Profil, wird – welch ein Hohn – vom eigenen Profilbild angelächelt und sucht die Leiste, auf der „Was machst du gerade?“ in grauen Lettern steht. Ein Klick, und – wenn die eigene mentale Verfassung es zulässt, die Tasten vor Kummer noch zu treffen – ein paar Anschläge, und die Botschaft erscheint auf der eigenen Pinnwand:
Es ist vollbracht! Die ganze Welt sieht jetzt, dass es demjenigen − sagen wir – suboptimal geht.
Das Umfeld
Der geneigte, psychologisch nicht geschulte Beobachter schlägt sich schockiert die Hand auf die Stirn − wenn es ihm nicht scheißegal ist und er sich fragt, wie besagte Posterin in seine Freundesliste gekommen ist. Sollte dies aber nicht der Fall sein, so ist er zutiefst bestürzt über das Ausmaß des Leidens seiner Zeitgenossin. Was muss passiert sein, mit welchem Hammer muss sie das Schicksal getroffen haben, dass die Posterin ihr gesamtes Leben von der Geburt an retrospektiv für Scheiße erklärt? Die ganzen schönen Stunden, die Erinnerungen, jeder noch so kleine Moment des Glücks, alles vergessen, alles wertlos? Instinktiv fragt man sich natürlich, ob man ihr irgendwie helfen könnte. Dieser Seelenstrip vor Hunderten von Menschen kann nur als ein Hilfeschrei aus tiefster Seele verstanden werden.
Soll man ihr eine PN mit der Nummer gegen Kummer schicken? Naja, die Nummer gegen Kummer ist ja so überlastet, und so weit weg, und so unpersönlich, die ist wahrscheinlich keine Hilfe. Man könnte einfach mal vorbeikommen, persönliche Nähe und Zuhören helfen immer. Und es ist immer noch besser, einem Menschen in seiner seelischen Not zu helfen, als den ganzen Tag vor Facebook zu verbringen. So viel Philanthropie bringt Ottonormalfacebooker dann meistens aber doch nicht auf und begnügt sich stattdessen mit einem kurzen, prägnanten „Was'n los?“
Die Antwort ist meistens ein „Möchte nicht darüber reden“. Das verschlimmert die Sache noch. Die Posterin hat ein riesiges Problem. Ein nicht näher, aber verdammt böser Kummer bedrückt sie, und sie kann nicht einmal darüber reden. Sie hat sich unter größter Überwindung dazu überwunden, einen Hilferuf zu senden, jetzt verlässt sie der Mut wieder. Wie soll man jemandem helfen, der sich selbst schon aufgeben hat, der nicht mal über seine Probleme reden kann oder will? Soll man die Polizei anrufen, dass da ein Mensch in höchster Suizidgefahr schwebt? Soll man vorsichtshalber vor der Haustür warten, damit derjenige sich nicht noch etwas antut? Wen soll man kontaktieren? Die Eltern? Das Jugendamt? Einen Psychologen? Alle drei? Wenn die Posterin auf einmal offline geht, wie hat man das zu deuten? War es das? Für immer?
Spätestens dann hätte es eh keinen Sinn, noch in die Szenerie einzugreifen. Also hofft man inständig, dass nichts passieren möge. Voller Freude stellt man fest, wenn man denjenigen Menschen nach einer gewissen Zeit endlich wieder sieht, dass er sich mental und körperlich bester Gesundheit erfreut, und sogar erstaunlich gut gelaunt wirkt. Es gibt also doch noch Wunderheilungen im Leben.
Siehe nicht
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