Die große Pfünderung

Die große Pfünderung ist ein politisches Schlagwort für Titanins großangelegte Beschlagnahmungsaktionen in den frühen Zwanziger Jahren.

Rechtliche Grundlage

Als die seit Beginn der Revolution auf Hochtouren eingeleitete vollständige Enteignung des Adels und Klerus bereits voll im Gange lief, wurde wenige Monate später auch das reichere Bürgertum davon betroffen. Eine zu Beginn des Jahres 1922 veröffentlichte Studie kam jedoch zu dem Ergebniss, dass diese Maßnahmen nicht ausreichen, um die hohen Staats- und Auslandsschulden Westerreichs zu tilgen, geschweige, die von Titanin befohlene Industrialisierung zu finanzieren.

Folglich führte die Revolutionsregierung am 12. März ein neues Gesetz zur Einschränkung des Vermögens von Privatpersonen, sowie das Verbot ein, Luxusgüter zu besitzen. Daraufhin kam es im gesamten Land zu Sammelklagen von westerreichischen Bürgern, doch die neuen Gesetze wurden vom Untersuchungsausschuss des westerreichischen Verfassungsgerichtes für rechtmässig befunden.

Umsetzung im Jahre 1922

Überreste einer unter Titanin demontierten Kirche

Das Gesetz kam sofort zur Anwendung. Die scharfen Grenzkontrollen verhinderten den Versuch vieler Westerreicher, ihr Hab und Gut ins Ausland zu retten. Die zentrale Behörde stellte Listen von Luxusgegenständen auf, welche nun von der neuen Gesetzgebung betroffen waren. Die Interpretation war hierbei sehr großzügig. Als "Luxus" galten bereits unter Anderem Musikinstrumente, Trachten, alle Gegenstände des traditionellen Kunsthandwerks, bestimmte Gewürze, vor allem Senf und Safran, Haustiere, Blumen, Bibeln vor allem aber Schmuck. In einer ersten Enteignungswelle waren alle Kleingegenstände betroffen. Um Willkür zu verhindern, lies Titanin die Aktionen von unabhängig voneinander operierenden Gruppen durchführen, welche jeweils nur zur Wegnahme ganz bestimmter Gegenstände befugt waren. Trotzdem verbreiteten sie Angst und Schrecken, so schrieb ein Bürger einen Brief, welcher allerdings nie ankam: "Jeder in unserem Ort fürchtet sich vor den Aktionsgruppen. Sie durchsuchten unsere Häuser und nahmen alles, was irgendwie wertvoll war. Dann verunstallteten sie unsere prächtigen Gärten und stahlen unsere besten Kräuter. Sie gruben an einigen Stellen herum. Als es aussah, dass sie schon abrücken würden, entdeckte einer vergrabenes Geschirr, welches auch sofort genommen wurde. Sofort wurden alle Menschen auf den Marktplatz getrieben. Schließlich kam auch die Polizei an. Nach Befragungen, einer langen Drohrede und weiteren Grabungen wurde eine ältere Frau, die sie verdächtigten, das Geschirr vergraben zu haben vor unseren Augen verhaftet. Seitdem haben wir sie nie wieder gesehen."

Unerbittlich folgte die zweite Enteignungswelle, auch Operation "Block" genannt, welche nun große und schwere Gegenstände abtransportieren lies:

"Bis zum Ende des vergangenen Jahres wurden im Rahmen der Operation "Block" 51.640 Kirchenglocken, 1.579 Marmorgrabsteine, 245 Säulen, 721 schwere Gegenstände mit hohem Anteil an Edelmetall, 5.686 nichtmotorisierte, 433 motorisierte Fuhrwerke, 7.915 schwere Luster, 83.074 Holzmöbel, 462 Tonnen Teppiche, [...] (usw.) entwendet. Der vollständige Abschluss der Operation ist im Zeitraum von ein bis zwei weiteren Jahren abzusehen.", so ein Bericht des Innenministeriums im Frühjahr 1923.

Wesentlich emotionsgeladener war jedoch auch hier die Meinung der Bevölkerung. So berichtet eine Frau aus einer Bauernfamilie, die während eines Vorfalls 1922 noch im jugendlichen Alter war: "Seit zwei Generationen hatten wir das größte und schönste Haus in unserem Dorf, wo ich mit den Eltern, einer Tante und vier Schwestern zusammen wohnte. Jeder hatte ein eigenes, schönes Zimmer und der Dachboden war groß genug, um dort zu fünft fangen und verstecken zu spielen. Doch da erschienen Leute von der Behörde und forderten uns auf, in das kleine Haus aus der Nachbarschaft zu übersiedeln. Den Grund hierfür konnte jedoch keiner nennen. Wir hielten die Anweisung für einen schlechten Scherz und ignorierten sie. Wenige Tage später klopfte die Polizei an die Wohnungstür. Mit der Aussage, sie hätten einen Haftbefehl gegen meine Mutter und meinen Vater wegen Anweisungsverweigerung, wurden meine Eltern aufgefordert, mit den Polizisten mitzukommen. Meine Eltern waren gelassen und meinten noch zum Abschied, sie kämen bald wieder und das Missverständniss wäre schnell aufgeklärt. Kurze Zeit später erschienen Jugendbeamte und teilten mir mit, dass meine Schwestern und ich in ein Heim eingewiesen würden. Meine Tante blieb zwar frei, musste jedoch in die nächstgelegene Stadt übersiedeln und durfte unsere Heimatgemeinde für die nächsten zehn Jahre nicht mehr betreten. Erst viele Jahre später sah ich meine Eltern wieder. Meine Tante war zu diesem Zeitpunkt bereits gestorben. Unser altes wunderschönes Haus sei nun in ein großes Sägewerk umgebaut worden, hieß es."

Weitere Aktionen

Solche Plakate zeigten allen, welche sich Titanin zu widersetzen gedachten, ihr zukünftiges Aussehen. Entwurf und Zeichnung: Alfons grin 1921. Hier zu sehen: ein Nachdruck aus Deutschland 1978

Im Sommer 1923 schätzte die zentrale Behörde, dass über 80% der Bevölkerung über keine Luxusgegenstände mehr verfügte. Es wurde beschlossen, die Aktion zu einem schnellen Ende zu bringen und gegen jeden Widerstand umso härter vorzugehen, um ein Exzempel zu statuieren. Bis zum 20. August sollen die letzten Besitzer von Luxus noch ein letztes Mal die Möglichkeit haben, den betroffenen Besitz freiwillig abzugeben. Danach soll jeder Besitz von solchen Gütern mit einer mindestens fünfjährigen Einweisung ins Gulag geahndet werden.

Tatsächlich folgten bis zum Stichtag noch viele Menschen der Aufforderung. Offensichtlich waren sie der staatlichen Repressalien müde. Bereits in der Nacht zum 21. August erfolgte eine neue Welle an Hausdurchsuchungen. Zahlreiche Spitzel verrieten andere Leute, welche ihre Schätze versteckten, selbst wenn es sich um Verwandte handelte. Auch in den nächsten Jahren wurden weitere 50.000 Westerreicher wegen illegalen Luxusbesitzes zur Einweisung in einen Gulag verurteilt.

Verwertung

Ein durchschnittliches, westerreichisches Kind (1931)

Große Mengen an Steinen wurden für den Bau von Straßen und Staudämmen genutzt, während Hartmetalle für die Industrieproduktion eingeschmoltzen wurden. Die meisten entwendeten Gegenstände wurden jedoch in gewaltigen Zahlen exportiert. Es gelang jedoch nicht, alle beschlagnahmten Gewürze zu exportieren, da insbesondere Safran bei den Enteignungen oftmals mit der hochgiftigen Herbstzeitlose verwechselt wurde. Wertvolle Uhren wurden unsachgemäss transportiert und konnten nicht nicht mehr ihren vollen Verkaufspreis erreichen. Trotzdem hatte Westerreich nun genug Geld, um neue Fachkräfte und Produktionsgüter aus dem Ausland für die geplante Industrialisierung zu kaufen.

Währungsreform

Im engen Zusammenhang mit der großen Pfüngerung stand auch Titanins Währungsreform von 1924. Wertvolle Münzen aus teurem Materiall und alle Goldreserven wurden ins Ausland verkauft. Das neue gesetzliche Zahlungsmittel wurde der "Republikaner", kurz "Rep" oder auch "Revolutionswährung" genannt. Es handelte sich um sehr billig herstellbares Papiergeld. Außerdem hatte der "Rep" keine "Unterwährung", wie etwa beim US-Dollar oder beim Euro der Cent.

Auf diese Weise konnte man auf die Produktion von Kleingeld verzichten, obwohl der durchschnittliche westerreichische Arbeiter im Jahr 1930 nur 100 Rep monatlich verdiente. Am Land noch deutlich weniger. Außerdem gaben die meisten Westerreicher etwa 80% ihres Geldes alleine für Grundnahrungsmittel aus, weil ein Kilogramm Kartoffeln in der Regel 3 Rep, ein Kilogramm wiegendes Brot sogar 5 Rep kostete.

Zu dieser Zeit gab es ein Paar Socken, Kilogramm Äpfel, ein Viertel Kilogramm Fleisch oder eine Packung mit fünf Kondomen um 10 Rep. Genussmittel wurden hoch besteuert, so dass man für eine 10-Gramm-Tüte mit Bonbons nicht weniger, als 15 Reps entbehren musste. Für ein Radio musste man 40 Rep hinblättern, für ein Fahrrad sich sogar mindestens 200 Rep mühevoll ersparen, während der Besitz von Motorrädern oder Autos völlig untersagt war.

Titanin

Westerreich

Ein Land. Eine Katastrophe. Eine Geschichte. Drei Regimes.

Geschichte und die drei Regimes Titanins Regierungsmitglieder
Westerreichische Fahne (seit 1965)
Sonstiges
Enlulo Hxaxaschichli || Edward Roiber || Wein (Ort) || Leben und sterben in Westerreich || Der Anastasja-Zwischenfall || Westerreichische Katastrophe || Titanins Überwachungsstaat
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