Spiegelwelten:Voltigieren für besonders Kleinwüchsige Athleten
Live aus dem Hippodrom in Gaytown berichtet Iggy Guttapercha am 27. Sept. 2008 vom Voltigieren für besonders kleinwüchsige Athleten.
Qualifiziert für dieses Ereignis der sportlichen Überklasse haben sich folgende Athleten:
Napoleon B. (Korsika) auf seinem Wallach Waterloo
Alberich N. (Worms) auf seinem Rappen Rheingold
Trunkwart Dutzendzwölf (Heldenbucht) auf seinem Seepferd Hippocampus
Time Bandits (unbekannte Ortslinie) zu fünft auf ihrer Stute Kleiner Onkel
Däumling Grimm (Hanau) auf seiner Stute Hufling
Fritz Fratz (Frankfurt in Burgen) auf seinem Bock Magkeinblatt
Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer, daheim an den Empfängern und hier im herrlichen Hippodrom von Gaytown, ich heisse sie herzlich Willkommen zum heutigen sportlichen
Ereignis der Spitzenklasse. Voltigieren für Kleinwüchsige, ja, sogar für besonders Kleinwüchsige steht auf dem Programm und das verheisst nun einiges, wenn nicht sogar
noch mehr!
Ein Blick auf die Starterliste zeigt uns große Namen neben einigen vermutlich nur dem Fachpublikum bekannten Athleten und Pferden. So werden wir beispielsweise Trunkwart Dutzendzwölf erleben, den aquanopolitanischen Ausnahmeathleten und seines Zeichens Vize-UM-Meister (nicht zuletzt dank seiner meisterhaften Beherrschung des Steckenpferdes), aber auch Fritz Fratz auf seinem Ziegenbock wird uns verzaubern. Wer aber ist Däumling Grimm auf Hufling, bei der Pressekonferenz jedenfalls wurde er von niemandem gesehen? Oder dieser ominöse Napoleon B. aus Korsika? Ich musste weit weit weit zurückblättern in den Annalen des Pferdesports, um überhaupt einen Napoleon dort zu finden und dann war dies in der Disziplin "Winterliches Hindernisrennen im Rückwärtsgang" bei den russischen Meisterschaften im Winter 1812, bei denen dieser Napoleon einen verheerenden letzten Platz belegte.
Aber lassen wir uns überraschen, liebe Sportsfreunde. Mit allen Teilnehmern sind Interviews geplant, sodass ich genügend Gelegenheit haben werde, die ein oder andere auch intimere Frage zu stellen.
Oha ... Fanfarenstösse erklingen, Fahnen werden geschwenkt und da wird auch bereits das erste Pferd in die Manege geführt. Ich meine Waterloo zu erkennen, den wallonischen Wallach von Napoleon B., ein Kaltblüter aus dem Gestüt Schluderjan und, laut Zuchtpapieren, ein direkter Nachkomme von Bullingdon, dem Pferd, auf dem einst Lady Godiva nackend durch Coventry ritt. Ein gewaltiges Tier meine Damen und Herren, Stockmass bestimmt 192 Zentimeter, ja meine Güte, wie will denn der Reiter da hinauf kommen? Ah ... ja ... ich ahne ... ich sehe ... ja, tatsächlich, eine Holzbühne, einem Schaffot nicht ganz unähnlich, wird hereingerollt und obenauf steht, in hautengen weißen Hosen, schwarzen Lederstiefeln und kurzer goldbetresster blauer Jacke mit weißer Bauchschärpe, Napoleon B. aus Korsika, der soeben mit einem kleinen Hüpfer von seinem hohen Podium auf den Rücken Waterloos springt.
Napoleon, ein schmucker Kleinling von rundlicher Statur, mit einer neckisch in die Stirn gekämmten Tolle, scheint ganz nach dem Geschmack des gayländischen Publikums zu sein. Hmm ... wenn da mal nicht Maskara mit im Spiel ist, meine werten Damen. Solch schwarze, ja geradezu lockige Wimpern und einen solch kecken Augenaufschlag habe ich ja zuletzt in einem eher zweifelhaften Etablissement in Konstantinopel ... aber das gehört nun wirklich nicht hierher ... wie gesagt, Napoleon kann hier sicherlich bereits nach der ersten im Schritt zurückgelegten Runde hohe Sympathiewerte bei Publikum und Jury verbuchen! Und Waterloo macht seine Sache gut. Ganz überlegen, wie er in versammeltem Schritt hier seine Runde dreht, leicht nervöses Spiel der Nüstern, aber artig, sehr artig macht Waterloo hier seine Arbeit. Und nun kommt Bewegung in die ganze Sache! Zu den Klängen von Weiiiiii emmmmmm ßiii äää verfällt Waterloo in leichten Trab und, ja tatsächlich, Napoelon hebt den linken Arm, hält sich nur noch mit der rechten Hand in der zu einem herrlichen Knotenmuster verflochtenen Mähne Waterloos fest und reitet tatsächlich einhändig! Applaus von den Rängen, zu Recht, liebe Sportsfreunde, ein erster Höhepunkt dieser an technischen Raffinessen reichen Kür. Jetzt geht Napoleon in die beidknieige Hocke, wackelt mit dem Hintern und ... zieht aus seiner Jackentasche einen Regenbogenwimpel, den er, und dies, ich muss es betonen, völlig im Takt zur Musik, nun hin und sogar auch wieder her schwenkt!! Brandender Applaus, liebe Sportsfreunde, und da tut es auch keinen Abbruch, dass Napoleon gerade beinahe abgeworfen worden wäre. Bravourös, wie er da in letzter Sekunde sich am Schwanz von Waterloo hat festklammern können und wieder, keiner weiß genau wie, es auf den Rücken Waterloos geschafft hat. Er sitzt nun zwar falsch herum auf dem Pferd, aber, dies sei erwähnt, es gibt keine Regel, die dies verbieten würde!!
Waterloo nun in ruhigem Trab, den Kopf gesenkt, ein Bild völliger Konzentration ... und diese ist auch notwendig, denn jetzt leitet Napoleon seine Paradeübung ein. In nahezu Zeitlupe steht Napoleon auf, steht nun breitbeinig auf dem Rücken Waterloos ... noch mit beiden Händen sich am Lederriemen haltend ... aber nun ... jaaaaaa sensationell, das ist Weltklasse, das ist historisch meine Damen und Herren ... Napoleon lässt mit der rechten Hand den Riemen los ... und ... schiebt die rechte Hand bis zum Gelenk in seine Jacke, knapp oberhalb des zweituntersten Goldknopfes!!! Welch ein Bild, meine Damen und Herren, welch majestätische Erhabenheit und zu Recht tobt hier das Publikum.
Doch was ist das, Waterloo scheut, die Musik bricht ab ... die beiden Manegenrichter Wellington (England) und Blücher (Deutschland) sind in die Manege geeilt und versperren Waterloo den Weg. Beide schwenken die grünschwarze Disqualifikationsfahne. Ja, was ist denn da passiert?? Über meinen Kopfhörer erfahre ich, dass die Anmeldepapiere Napoleon B.'s gefälscht sein sollen ... gar kein Korse höre ich soeben, sondern ein flüchtiger Insasse der Irrenanstalt "Hôtel des Invalides" der englischen Kurinsel St. Helena ... ja meine Damen und Herren, Ordnung muss sein und ohne gültige Startpapiere ist hier in Gayland natürlich kein Blumentopf zu gewinnen. Und während nun einige Männer versuchen, Napoleon B. mit einem großen Schmetterlingsnetz einzufangen, gebe ich für eine kurze Pause zurück in die Funkhäuser.
Hier ist wieder Iggy Guttapercha, live vom Voltigierwettbewerb für besonders Kleinwüchsige in Gaytown, Gayland. Nach dem unrühmlichen Auftakt eines offenbar geistesgestörten Schizophrenen wird nun Rheingold in die Manege geführt, der Rappe von Alberich N. aus Worms. Rheingold, ein schmuckes Islandpony mit Stockmass 112 cm, stammt aus dem Gestüt Wieland und ist ein Abkömmling von Schimming, jenem Fabelpferd und Sieger des sagenhaften Klippenrennens von Rügen. Rheingold also steht artig an der Startlinie, mit gesenktem Köpfchen und ... ja holla, was ist das ... Rheingold geht los!! In versammeltem Schritt, leicht nickend, dreht er seine erste Runde und das ohne Reiter!! Immerhin, soviel muss erwähnt sein, es ist eine Freude, Rheingold hier zu sehen. Er flirtet nahezu mit dem Publikum, ist aufmerksam, ein Ausbund an Pferdeverstand möchte man sagen. Schön wie er jetzt in leichten Trab verfällt und ... den Rundlauf verlassend, diagonal die Manege traversiert. Jetzt eine wunderbare Passage, Wechsel von Trab zu Schritt zu Töld zu Galopp zu Schritt zu Passgang zu Schweinsgalopp ... ja, meine Damen und Herren, da wird einem ja schwindlig, bei dem, was Rheingold hier an Schrittvarianten präsentiert und das alles zu den Klängen des Nibelungenliedes in der Interpretation von Gunter dem Gabriel. Wenn jetzt noch ein Reiter auf dem Pferd wäre, das könnte tatsächlich die Hohe Schule der Voltigierkunst bedeuten ... ja ... Regie ... ich höre ... ja wie?
JA WAS??? Alberich reitet ... DER Alberich ... meine Damen und Herren, eine Sensation bahnt sich an, nein, ich verbessere mich, sie ist eingetreten ... der besagte Alberich N. aus Worms ist niemand anders als König Alberich, Herrscher über das Zwergengeschlecht und Hüter des Nibelungenhortes und ... und das wird ihm offenbar hier zum tragischen Verhängnis, und eben auch Träger der nibelungschen Tarnkappe. Seit Minuten bereits, ja von Anbeginn der Kür, ist Alberich im Sattel und präsentiert hier, laut Unterlagen, die mir gerade in meine Sprecherkabine gereicht werden, eine voltigistische Höchstschwierigkeit nach der anderen: die Hunnengrätsche lese ich hier, der doppelte Attila-Hupf, einhändiges und sogar freihändiges Nixenjagen in Trab und Galopp, dazu reiterische Höchstschwierigkeiten wie der Siegfried-Überwurf, das Rolands-Horn und, absolute Weltklasse und nur von einer Handvoll Voltigeure überhaupt je vorgeführt, die Hagen-Volte nebst anschließender Kriemhild-Wehe. Ja welcher Volldepp vor dem Herrn hat denn da König Alberich beraten, dass er als Kostüm seine Tarnkappe wählte??? Natürlich kann das hier keine Wertung geben, liebe Sportsfreunde, und schlimmer noch, wir alle sind um diesen Kunstgenuss der Sonderklasse gebracht, nur weil ein starrsinniges Blaublut sich nicht einmal über eine, ich darf es so sagen, doch mittlerweile reichlich überholt wirkende Kleiderordnung hinwegsetzen konnte.
Und während nun zu den letzten Klängen des Nibelungenliedes der unsichtbare Alberich auf dem glänzend aufgelegten Rheingold aus der Manege trabt, haben wir hier immer noch keine gültige Wertung, obwohl bereits zwei Athleten am Start waren. Ich gebe für eine kurze Pause zurück in die Funkhäuser.
Und hier bin ich wieder, liebe Pferdenarren und Freunde vollendeter Bewegungen auf der lebenden Kreatur, Iggy Guttapercha, live aus Gaytown. Als nächstes erleben wir eine Sonderdarbietung. Fünf Athleten gleichzeitig werden auf einem einzigen Pferd voltigieren. Randall, Wally, Strutter, Og und Vermin von den Time Bandits werden auf ihrem Pferd Kleiner Onkel Einzug in die Manege halten und, auch das etwas Besonderes, ihr Trainer Fidgit wird Kleiner Onkel an der Lounge führen. Kleiner Onkel, übrigens vom Gestüt Lindgren in Kleinköpping und Sohn von Herr Nielson, ist prächtig aufgezäumt, mit gewaltigen Satteltaschen, welchem Zweck auch immer solch Ballast hier dienen soll.
Zu den Klängen von We are the Champions reiten die fünf Zeitbanditen, in ihre bekannt avantgardistisch-wilden Kostüme gewandet, soeben in die Manege ein. Leichtes Zungenschnalzen von Fidgit aus der Mitte der Arena und schon setzt sich Kleiner Onkel in versammelten Trab. Ein dynamischer Auftakt meine Damen und Herren, ganz so recht nach dem Herzen der Gaytowner, die nach den beiden vorangegangenen Pleiten nun endlich eine vollgültige Kür sehen wollen. Und schon geht es mit einer Höchstschwierigkeit los: der umgekehrten 5er-Pyramide. Der stämmige Vermin auf dem Rücken des Kleinen Onkels, links und rechts auf seinen Schultern Strutter und Og stehend, die ihrerseits Randall und Wally im Handstand auf ihren Köpfen balancieren. Sensationell, atemberaubend und sicherlich medaillenverdächtig, wenn Sie mir dieses Urteil zu diesem frühen Zeitpunkt einmal gestatten wollen.
Und jetzt kommt weitere Bewegung in dieses hübsche Bild. Mit Peitschen knallen Randall und Wally knapp über den Köpfen der Zuschauer die flotte Melodie der edlen Reitkunst, während Fidgit Kleiner Onkel zu gestrecktem Galopp anregt. Aber was sehe ich ... es sind gar keine Peitschen, die Randall und Wally da über den Zuschauerrängen schwenken ... nein ... es sind ... ja tatsächlich ... es sind Angeln!!! Und mit jedem Sprung des Kleinen Onkels angeln sie aus den Zuschauerreihen ein neues Beutestück: hier eine goldene Armbanduhr, dort ein todschickes Herrenhandtäschchen von Hermès mit sicherlich wertvollstem Inhalt und Sprung um Sprung, Runde um Runde werfen diese Teufelsdiebe aufs neue ihre Angel aus, während Strutter und Og die wertvollen Stücke in den großen Satteltaschen verstauen. Schon sehe ich Wellington und Blücher drohend nahen, die grünschwarze Disqualifikationsflagge schwenkend, aber da ... ja, das war natürlich zu erwarten, Fidgit zieht die blaue Zeitkarte der Time Bandits unter seinem Wams hervor, ein Zeitportal öffnet sich genau vor der Ehrentribüne und ... schwupps ... ist die ganze Bagage im Nichts verschwunden. Ein Bild für die Götter, liebe Sportsfreunde daheim ... soviele offene Münder und dämliche Gesichter habe ich noch nie auf einen Haufen gesehen wie hier im weiten Zuschauerrund ... hahaha, nein wie ist das witzig pruhuusthaha ... halt, wo ist meine Brieftasche ... HAAAALT, halte doch einer diese Verbrecher auf ...
Verzeihen Sie, werte Damen, geschätzte Herren, dass es erst jetzt weiter geht hier im Hippodrom von Gaytown. Aber ich musste erst meine Konten sperren lassen und überhaupt mich ein wenig beruhigen, diese Saubande diese Drecksschweine, wenn ich die je erwische ... aber nun lassen Sie uns endlich, so Gott will, ruhigen, schönen, fairen und vor allem Sport mit
greifbarem Resultat geniessen!! Denn nun reitet Däumling Grimm auf seiner Stute Hufling ein. Zumindest sollte er das laut Zeitplan und der Musik zufolge, herrlich dieses Lied Invisible Touch von Genesis, reitet Däumling auch exakt in diesem Augenblick an mir vorbei ... nur ... ich kann ihn nicht sehen!! Potzdonner, da wird doch nicht wieder jemand in der Garderobe geschlampt und eine Tarnkappe als Trikot herausgegeben haben?! Nein, meine Unterlagen sagen mir etwas anderes, Däumling, tja, das ist jetzt natürlich wieder mal bitter, besonders für die Zuschauer an ihren funkelnagelneuen HDTFAU-Grösstbildschirmen, Däumling ist nur Daumesgross und sein Pferd Hufling ebenso. Und bei genauem Hinsehen, ja, da bewegen sich tatsächlich die Sägespäne in der Manege und für einen kurzen Augenblick meine ich einen winzigkleinen Federhelmbusch gesehen zu haben. Aber ich sehe gerade, der Technische Aufnahmeleiter F. Ocus nimmt die Sache in seine bewährten Hände. Von vier Seiten werden große Lupen an die Manege geschoben und nun der neue 50000-Wattscheinwerfer einige ... ahhhhhhhhhhhhhhhhh ... NEIHEIN!!!! Das, liebes Publikum, ist wahrlich ein rabenschwarzer Tag für den Voltigiersport, ein kurzes Britzeln und Zischeln, eine kleine Stichflamme, und im Brennpunkt von wahrscheinlich 5000 Grad wurde soeben Däumling Grimm mitsamt seiner Stute Hufling einfach zu Plasma verwandelt. Bitte erheben Sie sich daheim von Ihren Sitzen, wir spielen im Angedenken an Däumling Grimm, den großen ähm, den herausragenden Sportsmann aus Hanau, das Lied "Ich hatt' einen Kameraden".
So, nach diesen wehen Momenten, die uns alle aufs Bitterste an die Vergänglichkeit all' irdischen Seins gemahnten, nun also, liebe Zuhörerinnen und Zuhörer, nun endlich kommt er, der grosse, vielleicht der größte Voltigierer, den diese Disziplin derzeit zu bieten hat. Trunkwart Dutzendzwölf aus Aquanopolis auf Hippocampus aus dem Gestüt Agaton Mars. Auf meinem Zettel lese ich, dass Trunkwart seine Kür zu den Klängen der aquanopolitanischen Hymne reiten wird. Ein vaterländisch einwandfreies Vorgehen, sicherlich, aber unter rein musikalisch-ästhetischen Gesichtspunkten hätten sich da einige Millionen anderer Lieder sicherlich eher angeboten, wenn mir diese Bemerkung gestattet ist.
Aber was ist das ... an der genau gegenüberliegenden Seite der Manege drängt Fritz Fratz auf seinem Ziegenbock Magkeinblatt im selben Moment in die Bahn wie auch Trunkwart seine Übung aufnimmt. Ja, verehrtes Publikum, genau so kennen wir Fritz Fratz: nie, aber auch nie mal nur einen Moment zurückstehen. Natürlich will er seinem großen Konkurrenten Dutzendzwölf hier nicht den Vortritt lassen, dass verkraftet offenbar der burgensische Ehrenkodex nicht.
Und wie er hier einherprescht, meine Herren, da ist ein Kosackenangriff ein Altweiberausflug gegen. Magkeinblatt hat offenbar angespitzte Hörner und Fritz steht eine eiserne, ja ich bin geneigt zu sagen, mehr als eiserne Entschlossenheit zu Siegen förmlich ins Gesicht gemeisselt. Trunkwart selbst hat offenbar bislang noch gar nichts bemerkt und ist voll auf die Ouvertüre seiner Übung konzentriert: eine einhändig eingerittene la ola atlantique auf Hippocampus, die aufs herrlichste das Muskelspiel dieses edlen Tieres unter der perlmuttfarben schimmernden Schuppenhaut betont. Doch nun kommt er in rasendem Tempo an Fritz Fratz vorbei und kann nicht mehr länger die Tatsache ignorieren, nicht alleiniger Herr der Manege noch der geneigten Aufmerksamkeit des Publikums zu sein.
Erstaunlich, meine Damen und Herren, was heutzutage im Voltigiersport von den Athleten alles so mit sich geführt wird. Bei Fritz Fratz beispielsweise entdecke ich eine Lanze, gut und gerne dreimal so lang wie Fritz, ich meine Fratz selber. Und in Trunkwarts Händen blitzen mit einem Mal zwei Säbel, oder, wie es bei der UM wohl geheissen hätte, zwei sekundärsportliche Ausrüstungsgegenstände. Und nun aber ... Lanze eingelegt und quer durch die Manege auf Dutzendzwölf zugeritten, und ja, wäre Trunkwart Dutzendzwölf nicht neben seinen ganzen sportlichen Fähigkeiten auch einer der höchstdekorierten Elitesoldaten Aquanopolis, er wäre wohl hier als Schaschlik geendet. So aber schlug er mit zwei, nein drei blitzschnellen Hieben die Fratzsche Lanze in handliche Stücke, fing die Spitze noch mit Links auf und rammt sie im Vorbeireiten MagkeinBlatt in den knochigen Ziegenhintern. Zeit eigentlich für Wellington und Blücher, und, kaum hat man des Teufels Namen gesprochen, erscheint er auch schon, da sind die beiden Unparteiischen und schwenken heftig ihre grünschwarzen Disqualifikationsfahnen. Der Effekt dieses Tuns ist eher folkloristischer Natur, denn weder fallen diese beiden Fähnchen inmitten der nach Kampf und Muskelschweiss lechzenden und ihrerseits Fahnen schwenkenden gayländischen Zuschauer sonderlich auf, noch zeigen sich die beiden Kontrahenten selber sonderlich beeindruckt. Soeben pariert Trunkwart kurz vor der Manegenbande Hippocampus, retourniert und wirft sich, eine Brise südozeanischen Meeres mit sich führend, dem ebenfalls neuerlich anstürmenden Fratz entgegen. Dieser, ein Ausbund an Heimtücke, sprüht im Gegenzug eine Lösuing aus Süsswasser und Anti-Schuppenshampoo auf Hippocampus, eine teuflische, eine tödliche Mischung für ein Geschöpf der salzigen Ozeane! Wir werden Augenzeuge, wie Hippocampus in nahezu Sekundenschnelle zerfliesst und sich auflöst, Schuppe um Schuppe, schillernder Perlmuttglanz für immer verloren. Requiescat in pace, eine kleine, salzige Lake im staubigen Schmutz der Arena ist letztes Zeugnis dafür, dass je ein solch herrliches Tier das Hippodrom durch seinen Glanz erhellte. Und nun Trunkwart zu Fuß gegen den berittenen Fritz Fratz, das kann nur ein schnelles, ein blutiges Ende bedeuten, meine Damen und Herren ... ja meine Güte, ist denn niemand da, der diesen ungleichen Kampf beendet??
Da ... die Musik wechselt, der gayländische musikalische Leiter Rio Reiser hat das alte Soldatenlied "Wenn die Nacht am tiefsten, ist der Tag am nächsten" aufgelegt und tatsächlich ... Trunkwart, der soeben von MagkeinBlatt fast auf die Hörner genommen wurde und nun, halb blind vor Sägemehl in den Augen, der nächsten Fratzschen Attacke hilflos ausgeliefert scheint ... Trunkwart ruft laut in letzter Not "Un pour tous!" Und wie aus einer Kehle erschallt ein Widerhall "Tous pour un!!!" und, in der einen Hand blitzende Degen, flanken rund vier Dutzend der Brüder Dutzendzwölf, die es sich nicht hatten nehmen lassen, ihren Bruder zu diesem Turnier zu begleiten, über den Manegenrand und stellen sich schützend vor Trunkwart. Ja leck mich de Täsch, ist das ein Anblick!! Selbst die tumbe Kreatur, der Ziegenbock MagkeinBlatt, hat offenbar begriffen, dass es hier nur eines gibt: Rückzug, bedingsloser, schleunigster Rückzug und auch wenn Fritz Fratz sich schier die Zähne vor lauter Wut verbeisst, auch sein Überlebenstrieb ist stärker und mit einem letzten Määäähhhhhhh ist der burgensische Spuckauftritt endgültig vorbei. Die Brüder Dutzendzwölf aber, gewiefte Turner vor dem Herrn, bilden sofort die bekannte Bodenturnfigur "Reitpferd", Trunkwart springt auf und unter dem tosenden Applaus sämtlicher Zuschauer beendet Trunkwart nun seine Voltigierübung auf den Rücken seiner treuen Brüder. Meiner Seel, welch ein Finale, welch ein triumphaler Sieg der Gerechtigkeit und des Sportsgeistes.
So hat diese Diszplin hier am heutigen Nachmittag nicht nur ein versöhnliches Ende gefunden, sondern auch einen verdienten sportlichen Sieger: Trunkwart Dutzendzwölf aus Aquanopolis, zunächst auf Hippocampus, zuletzt auf den Rücken seiner Brüder, wird aus den Händen der gayländischen Jury Urkunde, Medaille und Ehrenkranz in Empfang nehmen. Mit diesen Eindrücken aus Gaytown gebe ich zurück in die angeschlossenen Funkhäuser, Ihr und Euer Iggy Guttapercha.