Urlaub auf dem Bauernhof

Wenn Großstädter mit Burnout-Syndrom und verzogenen Bälgern Geld dafür bezahlen, das zu tun, was sonst unterbezahlte Erntehelfer machen, dann nennt man das im Allgemeinen Urlaub auf dem Bauernhof.

Dieses Bild hat keinerlei Themenbezug und soll nur ein idyllisches Bild vom Land vermitteln.

Früher ging der Städter nur aufs Land, um seinen Zehnten zu kassieren, sich bei akuten Hungersnöten Nahrungsmittel zu schnorren oder seine Leichen zu vergraben. Aber früher war eh alles besser, und heute ist alles anders. Heute will der moderne Yuppie seinen Kindern mal zeigen, dass Birnen - im Gegensatz zu Glüh-, und Abrissbirnen - auch ab und zu auch mal auf Bäumen wachsen, und dass das Schweineschnitzel auch mal unpaniert auf vier Pfoten durch die Welt getapst kommt.

Namenskontroverse

Streng genommen ist ein Urlaub auf dem Bauernhof gar kein Urlaub auf dem Bauernhof. Denn der Terminus Bauernhof impliziert, dass ein Bauernhof ein einem Bauern gehörender Hof ist. Aber Bauern gibt es ja gar nicht mehr, da der Begriff Bauer ja mittlerweile negativ konnotiert ist und politisch korrekt nur noch für Schachfiguren benutzt werden darf. Der moderne Bauer lässt sich heute als "Landwirt" bezeichnen und wenn man ihn als Bauer bezeichnet wird er sauer der Bauer.

Bleibt natürlich die Frage, wie man den Bauernhof dann bezeichnen soll. Landwirthof? Ein Ostalgiker würde wohl zur Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft tendieren, aber Urlaub auf der Landwirtschaftlichen Produktionsgenossenschaft klänge wohl eher etwas bizarr. Also springen auch die sonst so stolzen Bauern über ihren Schatten und bieten daher immer noch Urlaub auf dem Bauernhof an.



Ein typischer Touristenbauernhof: baufällig und menschenleer...

Agrotourismus (so nennen unglaublich schlaue Leute den Urlaub auf dem Bauernhof) ist ein touristisches Angebot im ländlichen Raum, welches Aufenthalte mit Erlebnischarakter auf oder in der Nähe eines Agrarbetriebes umfasst [und] vorwiegend von Landwirten organisiert wird [...]. Grundgedanke ist die Nähe zur Gastfamilie, die dem Urlauber persönlichen Kontakt und Einblick in den Alltag des Landlebens gibt. So definiert es zumindest die Wikipedia. Eine Definition also, die den unschuldigen Urlauber an hohe Berge, weite Täler, klare Flüsse, blaue Seen und dazu ein paar Naturschutzgebiete denken lässt.

Doch bei genauer Betrachtung erweist sich diese Definition natürlich als nur partiell richtig. Organisiert werden solche Trips nämlich nicht von Landwirten, sondern vom nächsten Reisebüro. Der größte Hohn ist aber wohl die Nähe zur Gastfamilie. So stellt sich manch Städter das vor, eine romantische, mit antiquierten Möbeln eingerichtete Bauernstube. Eine Bäuerin, die noch mit Liebe alle selbst angebauten Agrarprodukte in einen himmlischen Eintopf zusammenbraut. Dieser wird dann im sanften Kerzenschein zusammen gegessen und es werden sich Geschichten aus dem knallharten Leben eines Berufslandwirts erzählt. Angekommen stellt man dann fest, dass es zwar durchaus eine Bauernfamilie gibt, die aber mit ihrem Hof vor 20 Jahren Konkurs angemeldet hat, und mittlerweile mehr Touristen als Tiere beherbergt.

Natürlich bekommt der Bauernhofurlauber Einblick in den Alltag auf den Land. So stellt er zum Beispiel fest, dass es heutzutage zum Alltag eines Bauern gehört, Touristen zu beherbergen. Er ist jedes Mal geschockt, dass es kein Breitbandinternet gibt. Dann aber wieder verwundert, dass man hier aber Fernsehen und fließend Wasser hat. Natürlich lernt er auch die Abläufe landwirtschaftlicher Produktion kennen. Wobei das mehr einer Geschichtsstunde gleicht denn einem Einblick in die Wirklichkeit. Denn Schweine, die täglich Auslauf auf einer sattgrünen Wiese bekommen, von Hand gefüttert werden und anschließend mit einem Lächeln im Gesicht geschlachtet werden, gibt es nur noch auf Touristenbauernhöfen zu bewundern.

Wirkliche Einblicke in das Leben auf dem Land will man nämlich gar nicht vermitteln, da diese womöglich dem liebevoll zubereiteten Bauernfrühstück zum Comeback verhelfen würden. Deswegen sind Angebote zum Urlaub in einer Legebatteriehalle, oder einem 500-Kühe-Kuhstall bislang eher rar. Ansonsten sucht der Biourlauber den Kontrast zu seinem anstrengenden Stadtleben. Diesen bekommt er auch. Er bekommt unberührte, ja jungfräuliche Natur, ein Idyll, in dem es nach Kuhdung und nicht nach Großstadtsmog stinkt. Dafür ist die Verwunderung immer wieder groß, wie denn leere Bierflaschen, Zufahrtsstraßen und Knoppersverpackungen in die ach so naturbelassene Natur kommen. Die müssen dann halt schon immer da gewesen sein!

Aber eigentlich macht man den Urlaub ja nur für einen: Die Kinder! Die finden die Tiere ja so unglauuuuuuublich süß und knuffig und hübsch und so und würden am liebsten den ganzen Bauernhof adoptieren. Naja, bloß blöd, dass die Tiere meistens dreckig sind und beim durchschnittlichen Stadtkind bei Berührung 20 Allergien auslösen. Aber die Tiere sind ja so süß, und man sieht die ja auch so selten, weil die gibt's ja nicht im Zoo. Und dann natürlich die Arbeit an der frischen Luft. Der Nachwuchs, der sonst einen epileptischen Anfall bekommt, wenn er auch nur sein Zimmer aufräumen muss, entdeckt auf einmal eine Leidenschaft, mit Mistgabel und Besen den Kuhstall zu säubern und die Kühe zu füttern. Naja, für diese Veränderung des Arbeitsverhaltens zahlt man ja schließlich auch Geld. Nur schade, dass dieser Gewinn an Arbeitskraft schon wieder verflacht, sobald man wieder die heimischen Gefilde erreicht hat.

Für die Bauern ist das Tourismusgeschäft natürlich das einzige Geschäft, welches diesen Namen auch wirklich rechtfertigt. Einen eigenen Bauernhof nach klassischem Muster zu betreiben, ist längst unrentabel geworden, schon allein, weil dem Landwirt die Zeit fehlt, seinen Hof zu pflegen. Die ganzen Demonstrationen für höhere Agrarsubventionen, gegen Gentechnik und für ein Einfuhrverbot ausländischer Waren, die per se giftig und tödlich sind, kosten zu viel Zeit. Nein, heute kassiert man lieber Städter ab, weil Naturbelassenheit natürlich kostet und man ja schließlich keinen Massentourismus betreiben will. Und wenn die Preise an sich noch nicht hoch genug sind, dann dreht man den Städtern noch mal zu Mondpreisen Gummistiefel, Regenhosen etc. an, denn die haben sie immer vergessen. Klar, es könnte ja matschig werden auf dem Land. Und wenn das immer noch nicht reicht, dann macht man auf irgendeiner brachliegenden Wiese einen Campingplatz auf. Naturbelassenheit und 200 Meter weiter östlich ein Zeltplatz, das ist naturverbundener und nachhaltiger Tourismus heutzutage.

Ein klassischer Urlaub auf dem Bauernhof

Die Anfahrt

... mit freundlichem Servicepersonal...

Bevor das Abenteuer Urlaub begonnen werden kann, muss erst mal die räumliche Distanz zwischen dem Bauernhof und dem eigenen Domizil überbrückt werden. Der klassische Bauernhofurlauber kommt nämlich aus der Stadt. Logisch, ein Landei spricht ja nicht von Urlaub, wenn es auf einen Bauernhof kommt, sondern nennt das Arbeit. Der Stadtaffe sucht Erholung vom Stadtleben, von all dem Stress, dem ständigen Großstadtverkehr und dem Lärm. Deswegen setzt er sich meist gleich in seinen Straßenkreuzer und regt sich erst mal gepflegt über die miserable Qualität der Straßen auf, und dass man die ohne Traktorreifen ja mal gar nicht befahren kann. Während er das konstatiert, fügt seine Ehefrau an, dass das Navi leider nur Großstadtbereiche abdeckt.

Sie kommt allerdings gar nicht richtig zu Wort, da der siebenjährige Sohn gerade bemerkt hat, dass sein allzu geliebtes Mobiltelefon hier in der Pampa ja mal gar keinen Empfang hat und er nun mittlerweile seit 2 Stunden nicht mehr in Facebook reingeguckt hat. Die 10-jährige Tochter beschwert sich in dezentem Schreiton, dass die verdammte Fahrt doch so verdammt lange dauert und sich der Akku ihres MacBook Air gerade verabschiedet hat. Das nutzt der Vater als perfekte Überleitung zu einer weiteren Schimpfkanonade über die asozial schlechten Straßen und über Brücken, die vielleicht für Grauhörnchen, aber nicht für Autos geeignet sind, wobei sein Kopf sich langsam rot färbt. Die ruhige, entspannende Wirkung der unberührten Natur beginnt bereits zu wirken.

In Ermangelung elektronischer Unterhaltungen sind die beiden Kinder dazu gezwungen, miteinander zu reden. Sie diskutieren lebhaft über die Unterschiede zwischen einem Hahn und einem Pferd und kommen schließlich zu dem Schluss, dass sie im Großen und ganzen nur die Fellfarbe gemeinsam haben. Derweil bemüht sich die völlig entnervte Mutter verzweifelt, sich mit dem auf der halben Windschutzscheibe ausgebreiteten Falkplan nicht zu strangulieren. Komplett erschöpft, aber glücklich kommen sie schließlich am Bauernhof an, und das obwohl die Straßen absolut unbefahrbar waren, das Navi den Geist aufgegeben hat und man nichtmal Traktorreifen dabei hatte.

Der Urlaub

Nach erfolgreicher Ankunft, einer deftigen Vesper mit der Gastfamille und einem ausgedehnten TV-Abend (woaahhh, hier gibts ja Pay-TV gratis) geht es dann erst mal zu Bett. Der Junge, der sich zwar beschwert hatte, er sei so müde vom Gepäcktragen (das eigene Zimmer liegt natürlich direkt unter dem alten Dachboden), ist um Zwei immer noch wach, um bei ISDN endlich seine Facebookseite aufzurufen. Besonders bemerkenswert ist das dahingehend, dass es gilt, am nächsten Tag um Acht aufzustehen, da man den aktivitätenreichen Tag sonst auf leeren Magen beginnen müsste. Das Mädchen meint, dass sie ausschlafen wolle, sie habe ja schließlich Urlaub, und wenn sie Hunger hat, dann könnten sie ja alle vier zum nächsten McDonalds gehen, der sei ja nur 10 Kilometer weit weg. Der Puls des Vaters steigt schon wieder merklich beim Gedanken an nochmal zwanzig Kilometer auf der Landstraße. Fräulein Tochter findet sich dennoch laut murrend am Frühstückstisch ein, wird aber besänftigt, als sie merkt, dass es ihre Lieblings-Gesichtsmortadella aus dem Supermarkt um die Ecke hier auch gibt.

Anschließend geht es zur ersten Attraktion: Stall ausmisten! Die Tochter erklärt, sie müsse ihren verpassten Nachtschlaf nachholen (in fremden Betten schläft sie immer so schlecht), während der Sohn nur noch mal kurz bei FarmVille reingucken müsse. Um 11 Uhr und erschöpft von einem Streit über das MacBook kommen sie, beide mit Kratzwunden im Gesicht, die Treppe herunter. Die Mutter schaudert schon mal vorsorglich, aus Angst vor dem, was ihre Kinder mit ihrem Zimmer angestellt haben. Leider hat die Bauernfamilie jetzt gerade keine Zeit, sie in die komplizierte Kunst des Stallausmistens einzuweisen. Sie muss sich um ihre Neuankömmlinge kümmern. Um 12 geht es dann doch zum Stallausmisten. Hier zeigt sich der in der Wikipedia-Definition angesprochene Erlebnischarakter zum ersten Mal. Den Adrenalinkick, den der Sohn beim Anblick des dreckigen Stalls bekommt, kann keine Achterbahn dieser Welt toppen. Dummerweise bewirkt das Adrenalin das, wozu es die Evolution vorgesehen hat: Flucht. Im Stall arbeiten, während der Bruder faulenzt, geht für die Tochter ja mal gar nicht, und sie quengelt so lange herum, bis die Eltern entnervt ins Bauernhaus zurück gehen. Das aber nicht schlimm, es gibt nämlich eh gerade Mittagessen.

... und großzügigem Poolbereich.

Der Nachmittag bringt dann die ersten pädagogischen Ergebnisse. Beim Betrachten des weitläufigen, pittoresken Areals erfährt die Tochter zum ersten Mal in ihrem Leben, dass Kühe nicht lila sind. Dafür versucht der Sohn eine halbe Stunde lang, herauszufinden, wo der Hahn denn sein Gelege versteckt hat. Merkwürdigerweise vergeblich. Beim Besuch des Schweinestalls verliebt sich die Tochter in ein kleines Schweinchen und kann es nicht lassen, es sofort zu knuddeln. Im Gesicht des Schweinchens spiegelt sich die Angst, erwürgt zu werden, und als die Mutter das Hello-Kitty-Shirt ihres Mädchens sieht, ist sie dem Herzinfarkt nahe. Danach unternehmen die beiden erste Gehversuche auf einem Pferd (oder besser einem Pony) und sind gaaaaaanz stolz, dass sie 3 Meter schafften, ohne herunterzufallen. Ergebnis ist, dass beide um einige blaue Flecken reicher und ihre T-Shirts reif für die Insel sind.

Die nächsten Tage verlaufen ähnlich, nur am Samstag darf die Familie mit auf die wöchentliche Demo für mehr Agrarsubventionen und sogar ein bisschen pfeifen. Der Montag wiederum bringt erste interkulturelle Erfahrungen für die kleine Familie. In Form eines lumpig gekleideten Erntehelfers aus Albanien. Dieser kommt aus einem Bauwagen auf dem Nachbarhof, der aussieht, als hätte er die Bauernkriege noch erlebt, und fragt den Vater in gebrochenem Deutsch, ob er der seit 3 Wochen dringend benötigte Klempner für die maroden Toiletten sei. Der Familienvater verneint, aber im Anblick der 10 weiteren ärmlichen Männer und Frauen, die um den Bauwagen herum stehen, schaut er sich die Misere zumindest einmal an. Er stellt fest, dass die Toiletten dringend einen Klempner benötigen.

Nach einer Woche auf dem Bauernhof voller schöner Erfahrungen muss die Familie zurück in die Stadt, der Vater zur Arbeit und die Kinder in die Schule, aber nicht ohne vorher den halben Bauernladen des Hofs leer gekauft zu haben. Die Mutter bedankt sich überschwänglich bei der Gastfamilie für die tolle Zeit, die allerdings auf die Tube drückt, weil sie schon die Nachfolger empfangen muss. Der Vater will dem Bauer zum Abschied noch hinterherrufen, dass sie nächstes Jahr bestimmt wiederkommen würden, aber als er den Blick seines Sohnes sieht, bleiben ihm diese Worte im Hals stecken.

Fazit

Urlaub auf dem Bauernhof ist ein Spaß für die ganze Familie, wobei man dummerweise erst einige Jahre an Erinnerung braucht, um diesen Spaß zu bemerken. Oder, um es in einer Bauernregel auszudrücken: Wenn statt dem Hahn der Wecker schreit, dann war's das mit der Urlaubszeit!

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