Vierbeiniger Hund

Ein vierbeiniger Hund ist doch etwas völlig normales, könnte man meinen. Ein Hund halt. Immerhin sagt man ja auch umgangssprachlich „Vierbeiner“ und meint damit zwar nicht ausschließlich, so aber doch in den meisten Fällen, Hunde. Der Begriff des „Vierbeinigen Hundes“ bezeichnet allerdings nicht einfach nur normale Hunde mit vier Gliedmaßen. Zu diesen sagt man einfach nur „Hund“. Der „Vierbeinige Hund“ ist vielmehr ein philosophisches Ideal, das verwendet wird, um unnormale Hunde, die sich durch eine unübliche Anzahl von Gliedmaßen von normalen Hunden unterscheiden, deutlich abzugrenzen, auch wenn diese aus gewissen Gründen ebenfalls vier Beine besitzen.

Wer zuerst kommt, frisst zuerst. Vierbeinige Hunde - hier noch im Vollbesitz ihrer Beine.

Was also ist normal?! Allseits bekannt ist ja die Redensart: Der Hund ist der beste Freund des Menschen. Obwohl eigentlich andere Menschen die besten Freunde des Menschen sein sollten. So halten es jedenfalls fast alle anderen Arten auf unserem Planeten. Man könnte auch sagen, der Vierbeiner ist der beste Freund des Zweibeiners. Denn wer will schon einen dreibeinigen Hund? Ein verkrüppelter Freund? Gut, man hätte eine Ausrede dafür, dass man nicht so oft mit ihm vor die Tür muss. Und man könnte sich einen Sticker aufs Heck der klapprigen Ente kleben, mit dem Spruch: „Mein Freund ist Dreibeiner“. frei nach Ernst Busch: „Gib mir die Hand Pfote, mein schwarzer Bruder - aber fall nicht auf die Schnauze!

Ostblock & Mittelmeerregion

Mal ernsthaft: Hunde, denen Gliedmaßen fehlen, kennen die Meisten doch eigentlich nur aus Fernsehdokumentationen über Rumänien (Zum Glück gibt es noch kein Geruchsfernsehen!) oder aus dem Spanienurlaub in der Nebensaison. Natürlich geht es den ganzen umherstreunenden Viechern gut, solange die Touristenmeute in den All-inclusive-Tempeln vor lauter Futterneid genug Essensreste produziert um ganze Kontinente zu ernähren.

Ooch, wie süüüüüß? Na, willst du mit mir gehen? Dann komm doch her!

Aber im Herbst, wenn die Touris wieder hinter ihren Schreibtischen hocken oder - das Kinn gedankenversunken auf dem Schippenstiel ruhend - auf ihren schlammigen Baustellen herumstehen und vom sonnigen Süden und süßen Sangriaeimern mit bunten XXL-Trinkröhrchen träumen, versiegt der Essensrestenachschub an den menschenleeren Stränden des sich abkühlenden Mittelmeeres langsam aber gnadenlos. Allmählich aber immer bestimmter gewinnt der Konkurrenzkampf um das knapper werdende Futter in den Hunderudeln an Bedeutung und führt zu zunehmend härteren Auseinandersetzungen. In diesen Scharmützeln werden zuerst nur die Zähne gefletscht und Nahrungskonkurrenten angebellt, dann aber bald auch ein paar Ohren gelocht und Schwanzspitzen gekappt. Später fallen dem aggressiv verzweifelten Hungergefühl auch immer öfter einzelne Gliedmaßen zum Opfer. Der Verlierer ist bei nachfolgenden Wettläufen um den mickrigen Inhalt einer der selten gewordenen Restetonnen aus der nur noch auf Sparflamme köchelnden Großküche einer der Bettenburgen ab sofort deutlich im Nachteil. Der Sieger dagegen - in der Regel ein „Vierbeiniger Hund“ - darf das abgebissene Bein seines Kontrahenten behalten und auffressen, sofern er sich gegen die anderen Neider behaupten kann. Schließlich ist sich in der Not jeder selbst der Nächste. Zustände, wie sie in rumänischen, russischen oder abchasischen Großrudeln rückverwilderter Hunde an der Tagesordnung sind. Der stärkere überlebt, der Gesunde pflanzt sich fort, das Kruppzeug wird zu Hundefutter. Das war schon immer so und ist ein bewährtes Grundprinzip der Evolution.

Geld spielt keine Rolle.

Diese armseligen, verwahrlosten Streuner mit Kippeleffekt sind auf jeden Fall nicht die Hunde, die man gerne um sich hat. Es sei denn, man ist eine geistig völlig verstrahlte Gutmenschenjungfer, die den Frust über ihre quälende Einsamkeit demütigenderweise mit dem fremden Leid eines ausgemergelten räudigen Straßenköters übertünchen muss, der sie mit seinem einen verbliebenen aber auch schon ziemlich verklebten Auge ja ach so traurig angeschaut hat. Als wollte er sagen: „Nimm mich mit in dein Schloss, Prinzessin und lass mich an deinem Tisch neben dir sitzen, von deinem goldenen Tellerchen essen und in deinem kuscheligen Bettchen schlafen! Dann kannst du mich küssen und ich werde zu einem California Dreamman und rammele dich bis an dein Lebensende sooft du nur willst ins Nirvana der Glücksseligkeit.“ Natürlich wissen die meisten deutschen Hundediebinnen, dass das so niemals passieren wird. Aber die drei- oder gar zweibeinige Dreckstöle wird dennoch mitgeschleift, gekidnappt sozusagen. Aus ihrem natürlichen Lebensraum entfernt und so der natürlichen Auslese vorenthalten, die eigentlich das verletzliche Gefüge unserer zarten Welt von solch schwachen Geschöpfen ethnisch säubern sollte. Auch die horrenden Kosten für Transport, Einfuhrzoll und Quarantäne sowie Impfungen, Wurmkuren oder Tierklinikaufenthalte werden gerne in Kauf genommen. Nicht zu schweigen von den Phantasiepreisen für einzelangefertigte Gehhilfen oder Prothesen sowie Epithesen aus deutscher Handwerks- und Ingenieurskunst. Und alles nur, um das Gewissen zu beruhigen und einen Lebensinhalt vorweisen zu können, der über die Tatsache hinwegtäuschen soll, dass sich andere Menschen oder wenigstens gesunde Tiere nicht die Bohne für einen interessieren.

Wann immer also das Thema um solche Hunde kreist, muss zwischen dem versehrten Hund (oder meinem Hund, deinem Hund, dem beeinträchtigten, schwerbeschädigten, verkrüppelten oder auch drei-, zwei-, einbeinigen oder gar beinlosen Hund) und allen anderen, sogenannten normalen Hunden unterschieden werden, ohne eine der Gruppen zu diskriminieren. Auch bei Menschen ist es ja eine Tatsache, dass Nichtbehinderte nicht immer gesund sind, da ja auch diese mal krank werden können. Außerdem sind auch manche körperlich Unversehrte weit entfernt davon, normal zu sein. Zudem ist es ja gerade in Mode und natürlich auch nicht verkehrt, behinderte Menschen als Normale mit Beeinträchtigungen zu euphemisieren. Dann sollte man selbstverständlich auch nicht zwischen beeinträchtigten und „normalen“ Hunden unterscheiden sondern einen objektiveren Begriff, wie zum Beispiel den des „Vierbeinigen Hundes“ wählen.

Tschernobyl, Fukushima etc.

Vor dem Unfall war das Gehen kein Problem - trotz der sechs Beine.

Der Ausdruck bezeichnet also normale Hunde als Vergleichs- bzw. Oppositionsgruppe zu mehr- oder minderbeinigen Hunden. Es kann aber auch notwendig werden, normal vierbeinige gesunde Hunde thematisch von solchen abzugrenzen, die unnatürlicherweise über vier Gliedmaßen verfügen. Hunde also, die zwar vier Beine haben, aber nicht mit dieser Beinzahl auf die Welt gekommen sind. Als Beispiel sei der Fall eines Wolfsspitzes aus der Nähe von Kiew angeführt, der aufgrund einer Genmutation mit sechs Beinen geboren wurde. Nach dem Kernunfall in Tschernobyl wurden bei streunenden Hunden vermehrt Missbildungen wie deformierte, fehlende oder überzählige Gliedmaßen sowie siamesische Zwillinge festgestellt. Der sechsbeinige Hund wurde beim Betteln an einer Tankstelle von einem PKW angefahren und verlor seine beiden hintersten Beine. Das machte ihn aber nicht etwa zu einem normalen Hund, sondern zu einem sechsbeinigen Hund mit vier Beinen, bei dem im Gegensatz zu „Vierbeinigen Hunden“ die vier Beine nicht normal sind sondern das Ergebnis einer Verletzung in deren Folge seine beiden Hinterbeine amputiert werden mussten. Da es sich in diesem Fall bei den überzähligen Beinen um verkürzte Vorderbeine handelte, die sich zwischen Hals und Schulter befanden, war dieser Hund trotz seiner vier Beine alles andere als normal oder mit „Vierbeinigen Hunden“ vergleichbar sondern sehr stark beeinträchtigt im Vergleich zum Zustand vor dem Unfall und zu seiner vorherigen Missbildung. Konnte er vorher normal laufen, so war ihm das nach seinem Unfall nicht mehr möglich.

Kinderspielplatz oder Jagdrevier

Addition ist nicht die Lösung, Kleiner. Und die Größe hätte eh nicht gepasst.

Ein dreibeiniger Rottweiler mit dem Bein eines Menschenkindes im Maul ist kein „Vierbeiniger Hund“. Er ist vielmehr ein dreibeiniger Vierbeiner. Er ist zwar ein Hund mit vier Beinen aber im Vergleich zu einem „Vierbeinigen Hund“ nur dreibeinig. Das erklärt freilich noch lange nicht, weshalb er dem armen Kind ein Bein ausreißen musste und dieses so zu einem einbeinigen Zweibeiner machte, den man fortan von sogenannten „Zweibeinigen Menschen“ unterscheiden muss. Das trifft übrigens nicht nur auf Rottweiler zu sondern auch auf kleine niedliche Labradormischlinge und andere Rassen. Die Feststellung lässt sich außerdem auch auf das Davontragen von Beinen anderer Spezies ausweiten. Damit ist nicht nur Wild oder Teile von Katzen oder Tauben gemeint sondern insbesondere das Bein eines Hundes. Selbst das eigene - abgetrennte - Bein im Maul zu tragen und damit umherzulaufen, bedeutet keineswegs, dass es sich um einen „Vierbeinigen Hund“ handelt. Es ist und bleibt ein dreibeiniger Hund mit einem Hundebein im Maul. Es sei denn, man würde ihm weitere Beine abhacken. Dann würde aus ihm aber auch kein vierbeiniger sondern eher ein zwei- oder einbeiniger Hund mit ein oder zwei Beinen. Die Chance, wieder ein richtiger „Vierbeiniger Hund“ zu werden, ist mit dem erstmaligen Verlust der Beinvollständigkeit grundsätzlich vertan. Schließlich kann man ja aus einer Holzmarionette auch keinen richtigen Jungen machen. Der Status des „Vierbeinigen Hundes“ ließe sich allerhöchstens durch eine sehr schnelle Notoperation wiederherstellen.

Mensch und Tier

Bringt man einem Hund beispielsweise im Zirkus oder in ähnlichen Milieus - wie etwa zu Hause - das Gehen auf zwei Beinen bei, so unterscheidet sich diese Fortbewegungsart kaum noch von der des Menschen, der ja wegen ebendieser Eigenheit als Zweibeiner gilt. Obwohl Menschen ebenso viele Gliedmaßen besitzen, wie Hunde oder andere Säugetiere, spricht man bei ihnen von Zweibeinern und bezeichnet die Vorderläufe abgrenzend zu den Hinterhufen als Arme. Auch Affen haben bekanntlich Arme und Beine in derselben Stückelung wie Menschen. Das ist auch klar, da ja auch Menschen zu den Affen gehören. Die Primaten hingegen werden merkwürdigerweise nicht als Zweibeiner angesehen, obwohl auch diese auf zwei Beinen laufen können.

Auf zwei Beinen gehen bringt's auch nicht. Das macht dich weder zum Vierbeinigen Hund noch zum Zweibeiner.

Und selbst bei Tieren, die gewohnheitsmäßig oder gar ausschließlich auf zwei Beinen gehen, wie vielen Vögeln, von denen einige nicht einmal fliegen können (z.B. Kiwi), kommt niemand auf den eigentlich naheliegenden Gedanken, sie deshalb als Zweibeiner zu bezeichnen. Dabei haben sie nicht einmal Arme sondern nur pfotenlose Federbüschel und könnten selbst, wenn sie es wollten, nicht auf vier Gliedmaßen gehen, da ihre Anatomie das gar nicht zuließe.

Angenommen, man hätte nun einen Hund, dem zwei seiner Gliedmaßen abhanden gekommen sind und brächte diesem das Gehen auf zwei Beinen bei, dann hätte er zwei Beine und würde sich auch immer auf zwei Beinen fortbewegen. Wäre er damit ein Zweibeiner? Nein. Selbst Oscar Pistorius würde noch eher als Zweibeiner durchgehen, als dieser Hund. Der erfüllt zwar in Abgrenzung zum (idealisierten) „Vierbeinigen Hund“ mehrere Kriterien um nicht mehr als Vierbeiner zu gelten und stattdessen in Beinanzahl und Fortbewegungsart den Zweibeinern zu entsprechen aber bleibt immer noch ein Vierbeiner, wenn auch ein recht freakiger Vierbeiner. Das würde sich auch sicher nicht ändern, wenn er rechnen und sprechen könnte und in Frack und Zylinder daher käme. Da verhält es sich mit den Hunden ähnlich wie mit den Menschen.

Man denke da nur an Michael Jackson. All seine gebleichte Haut, die operierte Nase und das geglättete Haar konnten ihn nicht zu etwas machen, was er nicht war. Am Ende zerstörte ihn wohl die Unfähigkeit, zu akzeptieren, dass aus einem kranken jungen Schwarzen kein tolles Weißes Mädchen sondern ein ganz kranker alter Schwarzer werden musste. Wenn auch ein bleicher Schwarzer so war Jacko doch am Ende vor allem ein Freak. Selbst Yellowman ist trotz seiner strahlend hellen Hautfarbe, bei deren Anblick sogar Heino vor Schreck erblassen würde, immer noch ein Schwarzer und wohl weitaus normaler als der Moonwalker mit dem Spitznamen eines Wellensittichs es je sein wollte. Und das ist ja auch gut so. Denn schließlich ist auch Albinismus etwas ganz normales. „Black and White werden ändern die Welt.“ - egal, wieviele Beine der Hund hat.

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