Kavaliersdelikt

Als Kavaliersdelikt bezeichnet man eine Handlung, die strafbar oder unmoralisch ist, aber aus guten Gründen wie Coolness, Geiz oder Belustigung trotzdem gern und oft begangen wird. Für die Einstufung als Kavaliersdelikt ist es heute nicht mehr unbedingt erforderlich, dass der Ausführende ein echter Kavalier ist; auch zum Beispiel Angeber, Blondinen und Heuchler sind berechtigt, sich bei der Polizei oder vor Gericht auf das Kavaliersdelikt zu berufen.

Ein klassischer Kavalier wanzt sich an eine edle Dame heran. Welches Delikt er genau im Sinn hat, ist nicht überliefert, aber früher waren sogar Dinge verboten, die heute noch nicht einmal unmoralisch sind.

Moral und Recht des Einzelnen

Um regelmäßig und ohne störende Gewissenskonflikte Kavaliersdelikte begehen zu können, benötigt das Individuum ein gut entwickeltes Ichbewusstsein, das es ermöglicht, die gültigen moralischen Maßstäbe für sich selbst und die für andere voneinander zu trennen. Erst wenn der Mensch erkennt, dass Gesetz und Moral im wesentlichen für die Anderen gemacht sind und die eigene faszinierende Persönlichkeit eine Individualethik rechtfertigt, kann er sich aus der gesichtslosen Masse erheben und sich wirklich entfalten.

Die freie Entfaltung der Persönlichkeit allein wird allerdings vor Gericht nicht immer als ausreichende Begründung für ein Delikt anerkannt. Aus diesem Grund ist es ratsam, für den jeweiligen Anlass auch geeignete Ausreden vorzubereiten, mit denen man sich in ein besseres Licht rücken kann.

Systematik der Kavaliersdelikte

Kavaliersdelikte sind nicht in allen Bereichen des Verbrechens gleich häufig vertreten. Unter den Gewaltverbrechen wie Mord und Raub etwa werden nur sehr wenige als Kavaliersdelikte betrachtet, weil in diesem Sektor in der Regel ein unmittelbares Opfer existiert, das die moralische Relativierung des Geschehens erschwert. Wenn der Täter hingegen den Geschädigten gar nicht kennt oder wenn die Tat lediglich der Gesellschaft als Ganzes schadet, wird das Gewissen deutlich weniger unter Stress gesetzt. Aus diesem Grund fallen die meisten Kavaliersdelikte in die Kategorie Beschiss und der Geschädigte ist der Staat oder eine anonyme Größe wie eine Versicherung.

Art des Delikts Individualmoralische Rechtfertigung Geeignete Ausreden, die Coolness und Schlagfertigkeit demonstrieren
Steuerhinterziehung
Der Staat macht mit meinem Geld sowieso nur Unsinn. Alle Politiker sind unfähig und stopfen sich nur die Taschen voll. Wenn ich Politiker wäre, würde ich es genauso machen, also muss es so sein. Da gebe ich mein Geld doch lieber selber für etwas Sinnvolles aus, mache mal wieder Urlaub in Thailand oder kaufe mir einen neuen SUV. Auf dem Scheck stand Nur zur Verrechnung, da muss ich mich bei der Steuererklärung wohl verrechnet haben.
Versicherungsbetrug
Seit der Scheidung kann ich die Raten für die teure Hütte nicht mehr bezahlen, es ist ja schon schwer genug, sich vor den Unterhaltszahlungen zu drücken. Da hilft nur warmer Abriss. Brandstiftung kann ich mir bei den heutigen Benzinpreisen gar nicht leisten.
Schwarzfernsehen
Ob ich zahle oder nicht, die senden doch so oder so. Die schmeißen die Fernsehgebühren doch nur für Sportrechte und Millionengagen raus. Ich schaue sowieso nur 9live.
Raubkopien
Ich kann es mir nicht leisten, will es aber haben. Mit diesem sogenannten kategorischen Imperativ der Individualmoral lassen sich grundsätzlich alle Eigentumsdelikte rechtfertigen, die Anfertigung von Raubkopien hat aber den Vorteil, dass der ursprüngliche Besitzer den Gegenstand gleichzeitig behalten kann. Der tatsächlich Geschädigte ist irgendein Künstler oder Musikverlag, der sowieso genug Geld hat. Ich habe keine Ahnung, wo sich mein Computer nachts herumtreibt und was er so anschleppt.
Bestechung
Der arme Beamte soll sich auch mal was leisten können, damit ist doch allen geholfen. In dieser Behörde läuft alles wie geschmiert.
Subventionsbetrug
Es gibt zwei Möglichkeiten: Entweder ich kriege das Geld oder jemand anders. Ich wähle Möglichkeit 1. Gute Produkte herstellen kann jeder, aber um staatliche Fördermittel abzuzocken muss man wirklich etwas auf dem Kasten haben.
Abrechnungsbetrug
Die Leute glauben immer, wir Ärzte seien so reich. Die haben keine Ahnung, was allein die Winterreifen für einen Cayenne so kosten. Die Kasse soll froh sein, dass der Patient die Tabletten nicht wirklich gekriegt hat.
Schwarzfahren
Die Bahn kommt eh dauernd zu spät, ist überfüllt und schmutzig. Und für sowas soll ich noch Geld bezahlen? Ich wollte den neuen 40 Euro-Schein ausprobieren.
Falschparken
Ich besitze ein Auto, damit ich nicht so viel laufen muss. Also parke ich beim Bäcker vor der Tür. Wenn ich den ganzen Weg zum Parkscheinautomaten und zurück laufe, dann ist der ganze Vorteil des Autofahrens dahin. Dieses schicke Käppi steht Ihnen ausgezeichnet. Ich steh auf Uniformen.
Geschwindigkeitsübertretung
Mein Auto hat Bremsraketen, Einparkhilfe, ABS, Airbag, ASS, GPS und ROFL. Damit kann ich auch an der Baustelle mit hundertachtzig entlangbrettern. Bei dem Tempo konnte ich die Schilder nicht mehr richtig lesen. Können Sie die nicht größer machen?
Alkohol am Steuer
Ein paar Bierchen können meinen imposanten Fahrkünsten nichts anhaben. Das Auto kennt den Weg.
Rauchen trotz Rauchverbots
Seit die Luft in dieser Kneipe so gut ist, macht das Rauchen hier doppelt Spaß. Mein Name ist Schmidt, Helmut Schmidt.

Kavaliersfeindliche Rhetorik

Oft fühlen sich moralisierende Oberlehrer veranlasst, mit erhobenem Zeigefinger zu betonen, eine der oben aufgeführten Taten sei kein Kavaliersdelikt. Der Ausdruck Kavaliersdelikt wird im Sprachgebrauch tatsächlich viel öfter mit dem Wort kein zusammen verwendet als allein. Hierdurch wird das schöne Wort unverdient herabgewürdigt.

Natürlich darf sich der wahre Kavalier von diesen Einreden nicht beirren lassen. Der Kavalier genießt und schweigt und weiß genau, dass die beliebtesten Kavaliersdelikte die sind, die am häufigsten als kein Kavaliersdelikt betitelt werden.

Geschichte des Kavaliersdelikts

Zu der Zeit, als ein echter Kavalier noch ein Pferd besitzen musste, galt auch das Drachentöten als Kavaliersdelikt, so ähnlich wie heute Igel überfahren.

Der Begriff Kavalier entstand im Mittelalter, also zu der Zeit, als es noch nicht so viele Autos gab und man deshalb noch mit dem Pferd zur Arbeit fahren musste. Wer ein Pferd besaß, durfte sich Kavalier nennen, denn Fremdworte waren damals mindestens genauso hip wie heute.

Die ersten Kavaliersdelikte hatten deshalb auch meistens etwas mit Pferden zu tun, zum Beispiel Rosstäuscherei, jemandem etwas vom Pferd erzählen oder einem geschenkten Gaul ins Maul schauen. Dies wurde den damaligen Kavalieren allerdings schnell langweilig.

Das Kavaliersdelikt wäre wohl bald wieder ausgestorben, aber zu seinem großen Glück wurde irgendwann in der Renaissance eine geniale Erfindung erfunden: die Doppelmoral. Oft wird der Buchdruck, die Entdeckung Amerikas oder das Überraschungsei als größter Geniestreich der Menschheit betrachtet, aber wenn man es sich genau überlegt, ist die Doppelmoral der allergrößte Wurf. Sie ermöglicht es, auf der einen Seite so zu tun, als wäre man ein netter und angesehener Mensch, und auf der anderen Seite zu saufen, herumzuhuren und seine Kinder zu schlagen. Ein Kavalier mit einer gut entwickelten Doppelmoral konnte bald ganz auf ein Pferd verzichten.

(Später wurde von Gillette und Wilkinson auch die Dreifach- und Vierfachmoral erfunden, aber das ist eine andere Geschichte und hat trotz großen Werbeaufwands niemanden mehr vom Stuhl gerissen.)

Mit der Abschaffung des Adels in neuerer Zeit wurde dann das Kavaliersdelikt auch für breitere Bevölkerungsschichten zugänglich.

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